Manch ein Musiker vollzieht eine erstaunliche Metamorphose. Harry Styles war 2010 bereits im Alter von 16 Jahren mit vier anderen Kandidaten mit der dort geformten Band „One Direction“ der Drittplatzierte bei der britischen Casting-Show „The X Factor“. Danach ist er erwachsener geworden und hat 2019 ein Album geschaffen, das der Rolling Stone tatsächlich in seine All-Time-Top-500-Alben gewählt hat.

Die kommerziell höchst erfolgreiche Boygroup „One Direction“ veröffentliche zwischen 2010 und 2015 fünf Alben, die nicht nur in England die Hitparaden stürmten sondern auch in den USA. Danach verließ Harry Styles seine pausierende Gruppe und wandelte als eigenständiger Sänger auf Solopfaden.

Vom Boygroupwonder zur Solokarriere

Styles lernte von der Pike auf das Musikbusiness kennen, lernte zu singen, zu tanzen, zu performen und schrieb in geringem Umfang bereits bei „One Direction“ Musikstücke mit. Gerade mal 21 Jahre alt hatte er also kommerziell viel erreicht – auch wenn Hingucker-Boygroups zwar viel verkaufen aber als gecastete Synthetikprodukte ein schlechtes Image als Musiker haben. Aber das sollte sich für Harry Styles ändern.

Auf Solopfaden

2017 kam dann Styles erstes Soloalbum mit dem Titel „Harry Styles“ heraus. Dieses wie auch das zweite Album, „Fine Line“, das im Dezember 2019 veröffentlicht wurde, erreichten Platz 1 der amerikanischen Charts und die Top10 der Hitparaden in vielen weiteren Ländern. Initiierend ließ vor allem der Titel „Sign of the Times“ aufhorchen, der allerdings ein Klon des „Oasis“-Sound-Konzeptes aus der erfolgreichen Phase des Britpop war, das seinerseits von den Beatles überinspiriert war.

Das erste Album „Harry Styles“

Das erste Harry-Styles-Album war ein Sammelsurium unterschiedlichster Stile zwischen Pop und Rock, sanften Balladen und härteren musikalischen Gangarten. Harry Styles hat sich dabei unverholen bei unterschiedlichen Phasen der populären Musik der letzten Jahrzehnte bis hin zu den 1960er-Jahren bedient. Mangelnde musikalische Originalität konnte Styles durch aufwändige Musik-Videos und live mit der Strahlkraft seiner Bühnenpräsenz ausgleichen. Zumal ein Popmusiker wie er bei seinen Fans sowieso auch durch unverschämt gutes Aussehen, einen originellen Kleidungsstil und eine nicht festzulegende Genderbotschaft punktet. Man merkte dem ersten Album jedoch die Absicht der stilistischen Offenheit an und den Willen, etwas Eigenes zu schaffen. Wie bei so vielen Popalben ging dabei der rote Faden der Eigenständigkeit jedoch verloren.

Das zweite Album „Fine Line“

Dennoch wies das erste Album in Richtung von etwas Neuem. Im zweiten Album „Fine Line“ schien sich noch mehr als beim ersten musikalisch und kompositorisch eine Kooperation mit dem Gitaristen Mitch Rowland verfestigt zu haben, der zur Band von Harry Styles gehört. Die Band, die auch live überzeugt, setzt sich wie folgt zusammen:

  • Harry Styles (Leadvocals, Gitarre)
  • Mitch Rowland (Gitarre)
  • Sarah Jones (Schlagzeug, Hintergrundgesang)
  • Ny Oh (Piano, Hintergrundgesang)
  • Adam Prendergast (Bass)
  • Charlotte Clark (Piano, Gitarre, Hintergrundgesang)

Die versierte Background-Band

Rowland setzt effizient instrumentale Akzente ohne Schnickschnack und liefert immer wieder musikalische Miniaturen, die im Ohr hängenbleiben. Ny Oh unterstützt Harry Styles punktuell mit einer zweiten einprägsamen Stimme. Zudem steuern alle drei Musikerinnen einen den Sound prägenden Backgroundgesang bei. Musikalisch-kompositorische Highlights des zweiten Albums sind „Watermelon Sugar“ und „Adore You“. Dieses zweite Album wirkt ausgereifter und legt mit den genannten Stücken Popmusik vor, wie man sie nicht jeden Tag hört.

Popmusik mit Anspruch

Es hat sich offenbar ausgezahlt, dass Styles sich etwas Zeit gelassen hat mit seinen Albenveröffentlichungen. Auch seiner Band hört man bei Liveauftritten an, dass sie ihr Repertoire schlafwandlerisch beherrscht. Arrangements der Instrumentierung und die Produktion stimmen auf dem zweiten Soloalbum ebenfalls, sodass sich auf einigen Stücken eine unverwechselbare Handschrift ergibt. Die Aufgabe, die Harry Styles zu bewältigen hat, ist der eines Kinderstars vergleichbar, der die Transformation vom unterhaltenden Boygroupler zum ernsteren Musiker schaffen will, ohne seine Fanbase zu vergrätzen.

Der ernste Harry Styles

Entscheidend mag sein, wie das dritte Album wird. Wenn man Harry Styles auf der Bühne erlebt, ist er ein lockerer, unterhaltsamer Profi. Im Interview wirkt er im Verhältnis zu seiner One-Direction-Zeit ernster und kontrollierter. Wenn man ihm beim Reden genau zuhört, kann man ihn sich als bodenständigen Businessman vorstellen, der seine Möglichkeiten auslotet. Sicher keine schlechte Eigenschaft, um im Popbusiness bestehen zu können oder sogar alt zu werden. War das erste Album ein musikalisches Tasten, scheint das zweite in Richtung einer Festlegung zu gehen: weg von der Stromlinienförmigkeit und Austauschbarkeit der Hitparadenmusik hin zu einem eigenen Stil, der zwar zunächst auch nichts anderes will, als zu unterhalten, das aber musikalisch eigenständig und kompetent.

Harry Styles bei Howard Stern

In der Talkradio-Sendung bei Howard Stern erzählt Harry Styles, dass eine Gang ihn einmal ausrauben wollte. Sie nahmen ihm sein Geld und sein Smartphone weg und verlangten von ihm den Entsperr-Code – was er verweigerte. Es schien ihm unmöglich, ihnen sein Smartphone mit all seinen Text-Ideen für neue Songs auszuliefern. Zum Glück erschien in der Nacht in diesem Augenblick ein Auto und Styles nutzte den Moment der Ablenkung, um mit seinem Smartphone wegzulaufen. Vielleicht zeigt diese Anekdote am besten, wie wichtig ihm seine Musik ist.