Es gibt ein Spannungsfeld zwischen dem, was die Wirklichkeit sein mag und dem, was als Wirklichkeit wahrnehmbar ist. Man kann davon ausgehen, dass es weder eine biologische noch eine technisch bedingte Wahrnehmung geben kann, die die Wirklichkeit in ihrer Vollständigkeit oder bezüglich ihrer verobjektivierbaren Eigenschaften erfassen kann.

Warum wäre es für den Menschen aber nicht viel nützlicher, die Welt und die Wirklichkeit ohne Gefühle wahrzunehmnen, wie eine Maschine und damit potenziell objektiv – oder zumindest objektiver als er es jetzt vermag?

Emotionen erzeugen Wichtigkeiten

Gefühle schaffen Relevanz im Hinblick auf die eigenen Lebensumstände und erforderlichen Entscheidungen, weil Gefühle die Wirklichkeit und die Wahrnehmung der Wirklichkeit gewichten. Man könnte hier von der Erzeugung einer „Abbildungs-Relevanz“ sprechen. Denn auch das, was etwa in der Kunst – aber nicht nur dort – abgebildet wird, um der Wirklichkeit nahe zu kommen, wird durch Gefühle geordnet, gewichtet und bewertet und damit in seiner Wichtigkeit hierarchisiert. Setzt man sich in seinem künstlerischen Werk etwa mit der eigenen Endlichkeit oder der Liebe auseinander, wird man das deshalb tun, weil man diesen Themen Gewicht im eigenen Leben beimisst. Der thematische Stellenwert ergibt sich durch emotionale Affinitäten, die auf der gefühlsmäßigen Betroffenheit basieren.

Grenzen der Wahrnehmbarkeit

Zuallererst stellt sich die Frage, mit welchem Instrumentarium die Wirklichkeit überhaupt objektiv wahrnehmbar wäre. Denn sicher ist etwa ein Bakterium oder ein Baum objektiv zu quantifizieren, bezüglich seiner Funktionsweise zu analysieren – obwohl dies, je nach Feinheit der Betrachtung, also je nachdem wie detailliert die Betrachtungsweise sein kann, an Grenzen stösst. Etwa an Grenzen der Auflösung und Wahrnehmbarkeit des Kleinsten im atomaren Bereich oder an Grenzen der Wahrnehmung dynamischer sich ständig verändernder Prozesse, die interagieren und sich im Fluss befinden.

Wie beschreibt man „Bewusstsein“?

Es gibt also zahlreiche Abläufe, die das menschliche Leben betreffen, die nicht einfach messbar, quantifizierbar oder sonstwie funktional vollständig zu beschreiben sind. Dazu gehört etwa das Entstehen von Bewusstsein, das eine manifest vorhandene Eigenschaft sein könnte oder eine virtualisierte Projektion. An das Bewusstsein sind Ich und Selbstbild gekoppelt. Wie sind sie beschaffen, wie entstehen sie? Die Wirklichkeit des Bewusstseins, das möglicherweise Vorhandensein eines Ichs oder die Existenz der Liebe sind schwer zu erfassen und wenn, meist eher unzureichend und damit zwischen tendenziell und hochgradig wirklichkeitsfremd schwankend.

Objektive Wahrnehmung durch Gefühllosigkeit?

Eine streng rationale, gefühllose Maschine könnte mit einem komplexen Wahrnehmungsinstrumentarium also ohne verfälschende Einflussnahme durch das Gefühl einfach zu erfassende funktionale Wirklichkeiten wahrnehmen. Doch dort, wo die Einfachheit aufhört, würde auch sie an ihre Grenzen stoßen. Es ist kaum leistbar, jenen Teil der Wirklichkeit, der unbestimmt bleibt, weil er etwa aus nicht beobachtbaren Abläufen besteht, verobjektiviert einzuschätzen. Oder jenen Teil, der sich durch Entfernung (Kosmologie) oder Kleinheit (Quanten, atomare Strukturen) der Wahrnehmung entzieht. Trotz angenommener relativer Objektivität, würde sich die Wirklichkeit immer wieder der Wahrnehmbarkeit verweigern. Das Ergebnis wäre ein Ausschnitt, der durch seine Partiellität die Wirklichkeit eher verzerren oder verbergen würde.

Subjektivität oder Objektivität?

Was also wäre der Vorteil der gefühlsgesteuerten Wahrnehmung? Sie liegt in zwei Bereichen. Zum einen ist ein Teil des Fühlens die Intuition, die das bewusste Denken ausschaltet und Ideen für Möglichkeiten entwickelt – etwa Ideen dafür, wie die Welt und die Wirklichkeit beschaffen sein könnten. Die Vorraussetzung für Mutmaßungen, Hypothesen und Theorien sind intuitive Annahmen, die zu verifizieren sind.

Vorteile des Fühlens

Zum anderen führt Fühlen automatisch zu einer Gewichtung im weitesten Sinne. Wer fühlt, zerteilt die Welt in schön und hässlich, in gut und schlecht, in bunt und grau oder in begehrenswert und abstoßend. So erzeugt Emotion Relevanz für das Individuum. Sie führt das individuum immer wieder an Orte, die wichtig sind, hält es fern von Orten, die unwichtig sind. Fühlen führt dazu, dass das Individuum sich klar darüber wird, was relevant für das eigene Leben und seine Wahrnehmung ist. Es schult die Wahrnehmung in einem Entwicklungsprozess, um erkennen zu können, was wichtig, richtig, schön, gut und positiv ist und was nicht.

Kunst, Intuition und Relevanz

Gefühlsgesteuerte intuitive Kunst ist ein Instrument der Wirklichkeitsabbildung und der Wirklichkeitsspiegelung. Kunst ist dabei aber nicht nur ein Abbildungsversuch im Hinblick auf die wahrgenommene Wirklichkeit, sie ist vielmehr ein Spiegel der Wahrnehmung selbst, also ein visuelles Protokoll der gefühlsgesteuerten Wahrnehmung des Ichs, deren Ziel unter anderem Relevanzerzeugung ist. Das heißt, im Kunstprozess erlebe ich, was wichtig für mich ist. Thema, Motiv, Technik und Ausführung des Kunstwerkes formen den Ausdruck und stehen im Zusammenhang mit dem, was der Künstler sich und anderen darüber mitteilen will, was er wahrnimmt und was eine Wichtigkeit für ihn hat.