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Fast schon das berechtigte Wahrzeichen der Stadt Duisburg: Der Lifesaver-Brunnen von Niki de Saint Phalle (1930-2002) .

Eine Stadt wird nicht nur durch auf- und aneinander plazierte Steine gebaut, sondern auch durch die freien Räume zwischen den Bauten. Sie geben den Steinen ihren Charakter, durch sie bekommen die Steine erst ihre Ausstrahlung. Duisburg verändert sich – ob zu seinem Vorteil bleibt wohl eine Geschmacksfrage.

In Duisburg geboren und 20 Jahre aufgewachsen – nun schon seit 30 Jahren nur noch zu Besuch dort – fallen mir immer wieder Dinge auf, die mich traurig stimmen. Ich will gar nicht sagen, dass früher alles besser war – im Gegenteil, mir fällt auch vieles auf, was jetzt langsam und stückchenweise wieder zum Leben erweckt wird, wie der Innenhafen und der Zugang zum Rhein. Aber da ich nun mal deutsch bin, muß ich wohl erst meinen Frust über das, was mir nicht gefällt, loswerden, um mich dann über die schönen Seiten unbeschwert freuen zu können.

Hier also ein paar Beispiele rund um den König-Heinrich-Platz in Wort und Bild, die – ich will es mal so nennen – Menschlichkeit im öffentlichen Raum vermissen lassen.

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Für alles gibt es einen vorgeschriebenen Raum, der nicht überschritten werden darf.

1. Höchststrafe: Rasen lebenslänglich inhaftiert.

Wo früher eine begehbare Rasenfläche zum Verweilen einlud, finden wir heute stylisch eingerahmt, höhergelegt – womit sich die Hinweistafel: „Bitte nicht betreten!“ überflüssig macht – und abends beleuchtet mehrere Quadrate unkrautresistenten Designrasens. Von den Skulpturen, die auf der ehemaligen Rasenfläche standen, fristet eine ihr entwürdigendes Dasein zwischen parkenden Autos auf der Düsseldorfer Straße.

Das neue „Rasenkonzept“ mag zwar interessant aussehen – und ich gestehe, dass ich die Idee anfangs auch gelungen fand – aber „gemütlich“ ist das nicht mehr. Es erinnert vielmehr an die Vorkriegs-Postkarten, auf denen ein eingezäunter Rasen zu sehen ist, in gewisser Weise also „back to the roots“. Der Mensch findet hier im wahrsten Sinne nur noch am Rande statt, auf dessen vorgefertigte Sitzgelegenheiten er sich (gesittet!) niederlassen kann.

Der weiße Riese Duisburgs.

Der weiße Riese Duisburgs.

2. Geschminktes Stadttheater.

Das Duisburger Theater ist eines der wenigen übriggebliebenen, wenn auch rekonstruierten, alten Theaterbauten im Revier. Als solches habe ich es geliebt. Der neue blütenweiße Anstrich mag es zwar von weitem leuchten lassen, aber es wirkt genauso unnatürlich wie künstliche, grellweiße Zähne. Der dunklere Farbton, die hell abgesetzten Säulen und andere Elemente sowie die Textur der originalen Steine gingen verloren. Was wir heute sehen, ist ein stark geschminktes Gesicht, keine atmenden Gesichtsporen.

Die Renovierung (wenn man hier im Link etwas scrollt, findet man alte Schwarzweiß-Ansichten des Theaters, auf denen erkennbar ist, dass es ursprünglich keineswegs „blütenweiß“ war) wäre ein Anlaß gewesen, die ursprüngliche Ansicht zu rekonstruieren, um den Gegensatz zur umliegenden modernen Architektur deutlich zu machen. Zupinseln war natürlich kostengünstiger. Da wundert es mich wenig, dass noch nicht einmal die Stadt Duisburg das Bauwerk zu seinen Sehenswürdigkeiten zählt…

Schöne neue Welt - Leitern ins Jenseits?

Schöne neue Welt – eine Leiter ins Jenseits oder was mag sie bedeuten? (Das zu ergründen fehlte mir die Motivation – vielleicht weiß es jemand.)

3. Adieu Heiratsmarkt* (Für alle Nicht-Duisburger: Unter Schülern der 70er Jahre umgangssprachlicher Name des überdachten Vorplatzes des ehemaligen Karstadt-Hauses).

Wo wir uns vorgestern nach der Schule trafen, ist heute alles zugebaut. Der Gigantismus des CityPalais setzt sich hier und am nebenstehenden Forum (welch‘ geschichtsträchtige Bezeichnung für einen weiteren schnöden Konsum“tempel“) konsequent fort.

Auf das CityPalais selbst möchte ich hier nicht näher eingehen, weil ich Anhänger der alten Mercatorhalle bin, die vielleicht inzwischen altmodisch anmutete, aber dafür elegant zurückhaltend wirkte und eine würdigere Nachfolge verdient hätte, als eine, der man den Kostenaspekt auf den ersten Blick ansieht.

Ich frage mich, ob die Architekten hier Maßstäbe vertauscht haben oder davon ausgingen, die Gebäude ständen auf der grünen Wiese. Jedenfalls wirken sie  schlicht eine Nummer zu groß für den Standort. Klotzen ist halt nicht immer besser als kleckern…

Den Himmel (ganz oben rechts) zugebaut.

Den Himmel (ganz oben rechts) zugebaut.

Die Welt mit modernen "Brettern" vernagelt.

Die Welt mit modernen "Brettern" vernagelt: Grau in grau, abtropfen an glatten Wänden.

4. Kein Forum für Raum zum Atmen.

Das Forum von vorne und hinten gesehen. Auf der Königstraße wird man bereits von der Front erschlagen, wo früher ein Minipark zum kurzen Ausruhen einlud (und ganz früher sogar Wasserspiele). Die wahre Größe – leider nur in der einseitigen Wortbedeutung – des bebauten Areals offenbart sich erst, wenn man die kleinen Nebenstraßen von damals sucht.

Die gibt es nämlich entweder nicht mehr oder sie werden von kahlen Neubauwänden in die Zange genommen. Man läuft buchstäblich vor die Wand…

Das Alte in den Schwitzkasten genommen.

Das Alte in den Schwitzkasten genommen.

5. Entseeltes Gebäude.

Hinter dieser Fassade ist nichts mehr, wie es mal war, schlimmer noch: Der Neubau hat sich die Fassade einverleibt und sie zu einem Teil seiner Selbst gemacht. Architektur ohne das geringste Feingefühl.

Im Kantpark klaffen Löcher...

Im Kantpark klafft ein "befestigtes Loch"...

... neben Grabsteinen, wo früher Schüler die Wiese bunt werden ließen.

...neben "Grabsteinen", wo früher Schüler die Wiese lebendig werden ließen.

6. Kant-Park: Über Geschmack läßt sich nicht disputieren. (Immanuel Kant)

Der Kant-Park, seufz, hier haben wir früher den Ferienbeginn mit ausgiebigen Gelagen (Details bleibe ich jetzt mal schuldig…) gefeiert. Ich gebe zu, dass ich nicht weiß, ob die Wiese heute noch ein Schülertreffpunkt ist – ich würde mich hier jedenfalls nicht mehr wohlfühlen.

In der Mitte ein mit Steinen ausgekleidetes großes Loch und im Hintergrund überdimensionale „Grabsteine“. Auf mich wirkt das nicht sehr einladend. Aber wahrscheinlich vermisst das auch niemand, ich schätze, die Schüler von heute sitzen vorm Rechner… Ein Schicksal, das mich erst Jahrzehnte später ereilte – glücklicherweise.

* Es läßt sich leider nur auf die Startseite verlinken. Von da aus auf „Frühere Innenstadt, Karstadt (1) bis (5)“ gehen. Der unter diesem Link gezeigte Heiratsmarkt entspricht nicht mehr dem „Original“ der 70er Jahre, da man ihn bereits um ca. die Hälfte verkleinert hatte. Die Fotos des Abrisses sind aber sehr eindrucksvoll und dokumentieren den Verlust des „freien Blicks auf den Himmel“.