Arme Küchenschabe. Wer vor ihr Angst hatte, weiß nicht wirklich bescheid.

Wer über Leben und Tod nachdenkt, kommt voreilig zu dem Schluß, dass Leben gut und Tod schlecht ist. Dabei ist der Tod innerhalb der Evolution eine starke kreative Kraft: Eine Kraft des Wandels, der Transformation. Ist nicht das Leben aller Organismen zusammengenommen ein gewaltiges Vergehen und Werden, ein permanenter Umwandlungsprozess, entsteht nicht durch den Tod erst das Leben?

Es wäre also voreilig, den Tod als morbide zu belasten – wenn da nicht Fälle wie der der Juwelwespe wären. Dass verschiedene Schlupf-Wespenarten gefährliche Wesen sind, die zum Beispiel Spinnen mit ihrer Brut infizieren und sie zur lebenden Vorratskammer umfunktionieren, ist bekannt.

Schicksalsspiel des Todes: Die flexible Vorratskammer

Hier jedoch kommt die Steigerung, das Non-Plus-Ultra, eine Art evolutionärer „Director’s Cut“ – verbunden mit der Frage, wer jener talentierte Regisseur wohl ist, der sich so ein besonderes Kammerspiel ausdenkt. Die Juwelwespe, die im Sonnenlicht besonders schön blau-grün glänzt, kommt in bestimmten Gebieten Indiens, Afrikas und des pazifischen Raumes vor. Ihr Wirtstier ist die sogenannte „Amerikanische Großschabe“.

Lang und schmerzvoll: Die Vorgehensweise der Juwelwespe

Zunächst lähmt die Juwelwespe die Schabe, die etwa doppelt so groß ist wie die Wespe und damit zu groß wäre, als dass die Wespe sie töten und dann wegschleppen könnte, mit einem gezielten Stich in einen Nervenknoten an der Brust, sodass die Schabe ihre Vorderbeine nicht mehr bewegen und damit auch nicht mehr flüchten kann.

Intime Kenntnisse der Kakerlaken-Anatomie

Die Juwelwespe hat sich bezüglich ihres Wirtstieres hochgradig spezialisiert. Diese Spezialisierung geht so weit, dass sie offenbar intime Kennerin der Anatomie ihres Opfers ist. Denn dann sticht die Wespe exakt durch den Chitin-Panzer in einen bestimmten Bereich des Nerven-Zentrums der Schabe und zerstört so deren Fluchtreflex. Die Schabe ist der Juwelwespe ab da nach menschlicher Terminologie quasi willenlos ausgeliefert. Das Gift der Wespe verhindert durch den Stich die Ausschüttung des Botenstoffes „Octopamin“, der bei der Schabe Verhaltensweisen wie zum Beispiel „Flucht“ oder „Kampf“ ermöglicht. Bei Nichtausschüttung wirkt die Schabe also praktisch wie lobotomisiert.

Der Stachel des Todes: Killmaschine und Informationsquelle

Interessant ist, wie die Juwelwespe überhaupt so präzise in die richtige Hirn-Region der Schabe stechen kann: Auf der Stachelspitze befinden sich Rezeptoren, die Reize an die Wespe übermitteln können. Der Stachel ist also nicht nur ein Werkzeug der Gift-Cocktail-Injektion sondern auch ein Informations-Übermittler. Vermutlich reagieren die Rezeptoren auf bestimmte chemische Substanzen im Nervenzentrum der Schabe und können so genau ermitteln, wo sie das Gift injezieren müssen.

Fantasie des Tages: Die willenlose Schabe

Die Wespe schafft die willenlose Schabe an einem ihrer Fühler zur Wespen-Höhle. Hier legt sie an der Unterseite der Schabe ein Ei ab. Die Höhle wird verschlossen und schließlich wächst am Körper der Schabe innerhalb von drei Tagen das Wespenkind heran. Die Schabe, die durch die Injektion in ihr Schabenhirn manipuliert wurde, muß all das geschehen lassen. Die Larve bohrt sich in den Körper der Schabe und ernährt sich in deren Innern eine Woche lang, bis diese stirbt. Danach verpuppt sich die Wespenlarve und schlüpft nach etwa einem Monat. Das Spiel beginnt von Neuem.

Raub- und Schlupfwespen nutzen die lebenden Leiber ihrer Opfer.

Schnelldurchlauf: Die Moral von der Geschicht‘

Die Wunder der Natur münden mitunter in eine perfide, zweckorientierte Brutalität, die Filme wie „Mimic“ oder „Alien“ inspiriert hat. Der Darwinismus, der vom „Survival of the fittest“ berichtet, scheint Recht zu behalten: Die Natur, in den Medien dominiert von kleinen Häschen, lieben Eisbärchen und süßen Ameisenbär-Babys, kennt kein Pardon. Der Mensch aber bemerkt angesichts solcher Horrorbilder im Kleinen nicht, was er selbst tut, weil er selbst der schlimmste Parasit, der die Erde befallen hat, geworden ist. Hinter einer kulturell gerechtfertigten Massentierhaltung oder hinter jährlich millionenfachen Tierversuchen steckt mehr verlogene kriminelle Energie als hinter den schrecklich anmutenden Taten einer vergleichsweise harmlosen Wespenart.