ZitronengesichtDr. Zigian hatte sich katzenbuckelartig über die Bücher gebeugt. So wie ich das sehe, sagte er zu der kurzhaarigen Geschäftsführerin, haben Sie vor zwei Jahren mit Ihrem Betrieb keinerlei Gewinn erwirtschaftet. Mit einer Ausnahme. Er neigte den Kopf und sah sie über die Gläser seiner Brille hinweg an: Sie handeln mit Zitronen!

Die Frau war erschrocken. Wie sind Sie drauf gekommen? Dr. Zigan lehnte sich zurück und lächelte. Das ist mein Beruf. Hier wird viel Tee getrunken, sehr viel Tee. Sie haben den hochwertigen Tee der letzten Jahre gegen Billigsorten getauscht. Wasser und Billigtee, das verursacht im Einkauf kaum Kosten. Als Einzelposition machen Sie damit einen traumhaften Gewinn, der allerdings, Dr. Zigan kratze sich am Hinterkopf, durch das Essensangebot, das ein Minusgeschäft ist, aufgezehrt wird.

Die Frau hatte sich gesetzt und ihm zugenickt. Irgendwann haben Sie für die zwei drei Zitronenscheiben zum Tee Geld verlangt. Zwischen 60 Cent und 1 Euro pro Tisch haben Sie so zusätzlich erwirtschaftet. Bei dem, was hier an Tee getrunken wird, sind Sie in die Gewinnzone gekommen, weil Sie Geld für Zitronenscheiben verlangen, die woanders umsonst dabei sind. Dr. Zigan lächelte.

Sie nickte wieder. Das ist richtig. Es hat aber in diesem Jahr dazu geführt, dass der Teeumsatz insgesamt wieder eingebrochen ist. Die Leute sind sauer geworden, weil sie für die Zitrone bezahlen sollten. Dr. Zigan lachte jetzt. Kein Wunder, wenn man zuviel Zitrone zu sich nimmt. Und nun? Wie geht es weiter? Müssen Sie zumachen?

Sie schüttelte den Kopf. Anstatt etwas kostenpflichtig zu stellen, was normalerweise umsonst ist, habe ich es nun andersrum probiert. Es gibt sehr schnelles kostenloses W-LAN und einmal die Woche beim Buffet muß nur das erste Heißgetränk bezahlt werden. Jetzt komme ich wieder in die Gewinnzone. Es kommen viel mehr Leute als vorher.

Dr. Zigan verstaute seine Unterlagen und seinen Taschenrechner in einer schwarzen Aktentasche. Zwischen geben und nehmen besteht ein Zusammenhang, sagte Dr. Zigan. Wer zuviel nimmt, macht sich schuldig an Menschen, die nichts haben. Sie verzog hochmütig das Gesicht. Sie haben erst genommen und geben jetzt.

Die Frau wurde ärgerlich: Ich konnte nicht anders, die Situation war ja finanziell prekär. Dr. Zigan hatte sich erhoben. Jedes Geschäftsmodell, das auf nehmen basiert, wird scheitern. Geben Sie den Menschen etwas, werden Sie erfolgreich sein. Sie haben die Zitronen zum Großteil offenbar schwarz gekauft und schwarz veräußert und damit Steuern hinterzogen. Ihr Geschäftskonzept besteht aus nehmen, weil Sie gierig sind. Das wird nicht lange gut gehen, wenn Sie nicht umdenken.

Habe ich doch! Die Frau sah durch die Scheibe ihres Cafés, wie Dr. Zigan in sein Auto gestiegen und losgefahren war. Er hatte ihr zum Abschied gesagt, dass er vermute, dass sie alleine sei im Leben. Wie kommen Sie denn darauf? hatte sie trotzig zurück gefragt. Weil ein Mensch, der geschäftlich nimmt, dasselbe auch privat tut, hatte er gesagt und war gegangen. Wenn Sie beginnen zu lieben, werden Sie erfolgreich sein.