Mops

Als Jean-Pierre am nächsten Morgen ins Schloss ging und Marga das Frühstück brachte, war alles wieder wie zuvor. Marga schaute im Fernsehen die Nachrichten an und beklagte sich über den Staatspräsidenten. Er sei unfähig und korrupt, was man auch daran sähe, dass er seine Frau betrogen habe. Leute, die ihre Frau betrügen, dürften überhaupt nicht in die Regierung. Dann fuhr sie mit der Weltpolitik fort. China sei ein gutes Land und man müsse die Chinesen unterstützen. Jean-Pierre sagte dazu nichts, er hatte schon begriffen, dass es sich nicht lohnte, mit Marga über Politik zu diskutieren. Er wusste allerdings auch nicht, welche besonderen Erfahrungen Marga mit Chinesen gemacht hatte. Vielleicht berichte ich davon ein anderes Mal. Er fragte, ob Marga an dem Buch weiterarbeiten wolle. „Heute nicht“, erklärte Marga: „Ich muss nachher ins Geschäft. Du fährst mich und ich erzähle dir dann von Griselidis.“ Das sagte sie, als sei die Geschichte von Griselidis eine schöne Belohnung für ihn. Jean-Pierre ging also ins Bedienstetenhaus zurück und sagte seiner Frau Bescheid, dass er nach Marseille fahren würde. Seine Frau war nicht begeistert, dass Jean-Pierre mit Marga unterwegs war. Sie hoffte aber, dass Marga eine Weile in der Stadt bleiben würde, so dass sie Zeit mit ihrem Mann verbringen könnte – ohne die Ziege.

Später, als Jean-Pierres Renault 4 majestätisch die Auffahrt hinunterfuhr und seine Frau die schmiedeeisernen Tore hinter dem Auto schloss, begann Marga zu erzählen: „Nachdem mein Vater gestorben ist – ich muss das ja wohl nicht nochmal erzählen – kaufte Bob mir einen Mops zum Trost. Das war ein ganz kluges Tier, eine Hündin. Ich nannte sie Griselidis nach einer Oper (von Massenet). Ich war damals so verrückt nach Opern. Wir wohnten in Northbridge, einem Vorort von Sydney und gingen, beziehungsweise fuhren, immer in die Oper. Ich habe noch eine Zeichnung von mir, wie ich in einem roten Organza-Kleid aus Bobs beeindruckendem Mercedes-Benz 300 steige.“ Marga rümpfte an dieser Stelle die Nase, sah sich im Auto um und fügte mit nörgelnder Stimme hinzu: „da hatte man auch ein bisschen mehr Beinfreiheit.“ Dann lächelte sie wieder und sah sich ihre Erinnerung an, wie einen Film, in dem sie selbst die Hauptrolle spielte. Ein Film in sehr bunten Farben und mit jeder Menge Glitzerkram.

„Und dann raffte ich jedenfalls das Kleid mit der linken Hand ein wenig zusammen, damit ich nicht auf den Saum trete. Mein schwarzes Haar kontrastierte wunderbar mit der Farbe des Kleides und einem Kranz aus weißen Perlen, der in meiner teuren Frisur steckte. Dazu passend hatte ich Griselidis, die ich auf dem rechten Arm trug, eine rote Seidenschleife umgebunden und ein kleines Krönchen aus falschen Perlen aufgesetzt. An diesem Abend gaben sie Rigoletto von Verdi und Beniamino Caruso sang die Hauptrolle. Alle wollten ein Autogramm von Beniamino, aber er ging an ihnen vorbei und begrüßte Griselidis. Er fragte mich, wie „mein Hündchen“ heiße und als ich ihren Namen sagte, sang er sofort „Wah Griselidis“ – oder wie es heißt – aus dieser Oper und nahm die kleine Hündin dabei in die Arme, was sie sich auch brav gefallen ließ.“ „Wahrscheinlich sabberte sie dem Sänger nur ein bisschen auf das Kostüm“, dachte Jean-Pierre bei sich, verzog aber keine Miene. „Das war so schön“, sagte Marga noch, drehte die Augen zum Wagendach und lächelte verzückt. Sie seufzte leise auf und fuhr fort: „Griselidis wurde durch Beniamino so bekannt, dass sie eine Sendung im Lokalfernsehen bekam. Sie musste natürlich nicht sprechen.“ Marga lachte auf. „Der Intendant selbst empfing wichtige Gäste und manchmal traten auch Sänger oder Musiker auf. Dabei saß Griselidis auf einem Seidenkissen auf einem kleinen Sofa. Höhepunkt der Show war immer, wenn Griselidis gefüttert wurde. Sie bekam ein Leckerchen und wurde dabei in Großaufnahme gezeigt.“

Jean-Pierre bezweifelte, dass das der Höhepunkt der Show war, aber wer weiß, was sie damals sonst noch im Lokalfernsehen gezeigt haben. Vielleicht war die Hündin ja im Vergleich mit anderen Sendungen wirklich eine Sensation gewesen. Ihm fielen einige Sendungen ein, die er im Lokalfernsehen von Toulon gesehen hatte, wo er eine Zeitlang gewohnt hatte. Verworrene Dichter lasen oder offenbar taube, lokale Schlagersänger traten auf diesen Sendern auf, immer unterbrochen von Werbung für den Imbissstand an der Ecke und dergleichen. Immerhin konnte ein Mops wirklich fressen. Jean-Pierre brummte daher seine Zustimmung. „So wurde ich in die Opernszene von Sydney aufgenommen. Wir feierten rauschende Feste und ich lernte alles kennen, was Rang und Namen hatte, auch den anderen Tenor, Peter Lanza.“ Das sagte sie so, als hätte es nur zwei Tenöre gegeben. Dabei weiß man doch, dass es immer drei Tenöre gibt. Drei Stooges, drei Tenöre und die Heilige Dreieinigkeit. Jean-Pierre merkte, das er ein bisschen abdriftete, nicht auf der Straße, sondern gedanklich. Er hatte sich schon oft gewundert, warum ein riesiges Porträtfoto von Lanza in Margas Schlafzimmer hing. „Das war, als er noch mit seiner ersten Frau verheiratet war und nicht mit dieser Schlampe, die nur sein Geld will und seine Kunst überhaupt nicht würdigt“, fügte Marga hinzu. Ihre Stimmung schlug um, denn Lanza war erst kürzlich verstorben, alle Zeitungen und Fernseher waren mit seinem Antlitz und Gesang voll gewesen und Marga hatte ein paar Tage lang ganz rote Augen gehabt. Sie schaute nun wütend drein.

Vielleicht wäre es jetzt eine gute Idee, das Thema zu ändern, dachte Jean-Pierre bei sich und fragte, was aus Griselidis geworden sei. „Sie starb und ich habe sie bei uns im Schlossgarten begraben“, behauptete Marga. Das war recht unwahrscheinlich, denn die Zeit in Sydney musste schon lange her sein und Marga besaß das Schloss noch nicht so lange. Aber Jean-Pierre sagte dazu nichts. „Deshalb will ich auch nicht, dass die Ziege immer an der Hecke knabbert“, fügte Marga hinzu, und skandierte jedes Wort des zweiten Halbsatzes mit Schlägen ihrer kleinen Faust auf Jean-Pierres Rückenlehne. Ihre Laune hatte sich offensichtlich noch mehr verschlechtert. „Wenn sie sich nicht benimmt, kommt die Ziege in den Topf. Sie muss außerdem etwas für ihr Geld tun. Sieh zu, dass sie das Unkraut an der hinteren Wiese frisst!“ Jean-Pierre versprach, auf die Ziege einzuwirken und sie zu überzeugen, nur noch zu fressen, was Marga wünschte. Er dachte zwar bei sich, dass seine Chefin wohl nicht mehr alle beisammen hatte, aber solange sie ihn bezahlte, war ihm das egal. Und trotzdem würde er sein Projekt, Marga auf lange Sicht zu heiraten, weiterverfolgen. Einen Moment lang stellte er sich vor, sie bekäme sein Kind, und es war ein Mops namens Griselidis. Da lief eine Gänsehaut über seinen Rücken. Wie man sich bettet, so liegt man. Er schüttelte den Kopf und konzentrierte sich wieder auf die Straße.

Teil 1: Voodoo
Teil 2: Es hat Füße
Teil 3: Marga schreibt ein Buch
Teil 5: Jean-Pierres Wunsch geht in Erfüllung
Teil 6: Reinkarnierte Hunde
Teil 7: Abstürze
Teil 8: Schrecken
Teil 9: Auferstehung

Hier ist das zweite Buch Leben ohne Marga von Charlotte Palme nachzulesen:
Teil 1: Leichenschmaus
Teil 2: Relativitätstheorien
Teil 3: Jagdfieber
Teil 4: Das Frohe leben am Hofe