Gentlemenverbrecher

Bekanntlich sagte Marga nicht immer die Wahrheit. Sie log aber auch nicht immer wissentlich. In dem Moment, in dem sie etwas sagte, glaubte sie an die Wahrheit ihrer eigenen Worte. Sie stellte sich eine Wirklichkeit vor, die ihren Worten entsprach. Und sie hatte genug Fantasie. Sie selbst hatte einmal in ihrer Jugend einer Journalistin ihrer Schulzeitung gesagt, dass sie ein Defizit habe, da sie in ihren Träumen lebe. Aber sie zog ihre Träume der Realität vor. Das Defizit war ihr lieb und teuer. Nur wer Träume habe, würde Großes vollbringen, indem er diese Träume wahr werden ließ. Nicht ungewöhnlich für romantische Frauen. Träume werden beziehungsweise sind aber auch für Psychotiker wahr. Ich habe einmal in einem medizinischen Fachbuch gelesen, dass 80 % aller Psychotiker unangenehme Wahnvorstellungen haben. Was endogene Psychose nicht sehr erstrebenswert macht. Marga hatte fast durchweg angenehme Vorstellungen, vor allem was ihren Platz im Universum anging.

Sie warf immer wieder ihren Wächtern vor, dass Gegenstände verschwunden seien. Sie war der Überzeugung, sie habe ein fotografisches Gedächtnis. Die Wächter suchten dann stunden- oder gar tagelang nach Gegenständen, die sich in der allgemeinen Wirklichkeit noch nie an den von Marga angegebenen Plätzen befunden hatten. Sie würden vielleicht gut aussehen, wenn sie an den Stellen wären. Es war aber auch vorgekommen, dass Marga von anderen Menschen beeinflusst worden war, dass sich ihre Träume durch den Einfluss anderer Menschen geändert hatten. Argentin de Bavay zum Beispiel hatte sie dazu gebracht, ein Buch über sich zu schreiben. Sein eigentliches Ziel, ihr Schloss zu kaufen, erreichte er jedoch nicht. Margas Buch war ihm egal gewesen. Da Marga ihr Buch nie einem Verleger zeigte, wurde es nie gedruckt. Vielleicht hätte es ja einen annehmbaren Groschenroman abgegeben. Nur drei Menschen außer Marga hatten das Buch in den Händen gehalten, Jean-Pierre, Argentin und der uns noch unbekannte Stéphane Renault. Mehr Menschen kannten allerdings einzelne Episoden aus dem Buch, weil jemand sie ihnen erzählt hatte.

Marga lernte Stéphane Renault kennen, als Jean-Pierre Wächter war und das Buch gerade geschrieben worden war. Eines schönen Tages chauffierte Jean-Pierre Marga vom Geschäft heim zum Schloss, als plötzlich ein junger, gutaussehender Mann unweit des Schlosses auf die Straße sprang und genau vor Jean-Pierres klapprigem Auto landete. Es gelang Jean-Pierre, rechtzeitig zu bremsen. Der Mann klatschte trotzdem auf die Motorhaube. Das kam Jean-Pierre komisch vor, aber er war zu sehr erschrocken, um die Umstände zu hinterfragen. Jean-Pierre stieg aus und eilte zu der Gestalt, die vor dem Auto auf die Dorfstraße gesunken war.

„Es geht mir gut“, ächzte der Mann und winkte schmerzverzerrt ab. Er versuchte aufzustehen, aber sein Knöchel oder Knie, oder jedenfalls irgendetwas am rechten Bein schien verletzt zu sein. Er konnte das Bein wohl nicht belasten und knickte immer ein. Jean-Pierre stützte ihn schließlich und bot an, ihn ins Krankenhaus zu fahren. Marga wurde ungeduldig. Sie fragte mit der ihr eigenen Kaltschnäuzigkeit, ob sie schonmal zu Fuß zum Schloss gehen sollte. Als der junge Verletzte das Wort „Schloss“ hörte, leuchteten seine Augen auf. Dann sei sie wohl die berühmte Frau Marga, säuselte der Unbekannte und humpelte zu Margas Autotür. Die hatte das Fenster heruntergekurbelt und sah sich jetzt den Mann an. Er hatte mittellanges, dunkelblondes Haar, grüne Augen, einen schmalen Mund und einen frechen, selbstbewussten Ausdruck im Gesicht. Den Hintern konnte sie aus dieser Perspektive leider nicht sehen.

Der Unbekannte war mittelgroß, braungebrannt, schlank und trug die Kleidung eines Sportlers. Er war wohl gerade gelaufen, gejoggt. Marga hatte schon davon gehört, dass manche Leute so etwas taten. Sie selbst hätte gar keine Zeit für so etwas gehabt. Man muss arbeiten, arbeiten, arbeiten und konnte ja wohl nur als Profisportler Geld durch sportliche Betätigungen verdienen. Sport war demnach Zeitverschwendung. Es gefiel ihr aber, dass der junge Mann sie kannte. Sie wunderte sich nicht, woher er sie kannte, es kam ihr ganz natürlich vor. Jeder kannte sie. Sie selbst beschäftigte sich immerhin auch viel mit ihrer eigenen Person. Der Mann stellte sich mit seinem Vornamen vor, Stéphane. Er sei Sportler, Fechter, um genau zu sein und habe gerade trainiert. Marga besah sich den Mann genauer. Stéphane war gerade 21 Jahre alt geworden. Er war noch jünger als Jean-Pierre. Marga begann sich, für Stéphane zu erwärmen. Ein Sportler, soso, dann durfte er auch laufen. Sportler sind doch bestimmt besonders ausdauernd. Margas Augen begannen ebenfalls zu leuchten. Die beiden strahlten einander an. Stéphane fragte, ob Marga ihn nicht zum Tee einladen wolle, als Entschädigung dafür, dass Jean-Pierre ihn angefahren habe. Jean-Pierre, dem nicht entgangen war, dass die Luft zwischen Stéphane und Marga wie elektrisch aufgeladen war, rollte die Augen. Marga wollte gern Tee mit dem hoffentlich ausdauernden, schönen Unbekannten trinken und lud ihn für den nächsten Tag ein. Sie könnte ihm auch ihre Degensammlung zeigen, sagte sie. Das war keineswegs ein Scherz. Sie hatte wirklich eine Degensammlung.

Während Marga und Jean-Pierre auf das Grundstück fuhren und das schwere Eisentor sich schloss, hörte Stéphane auf, zu humpeln. Das war eine riskante Aktion gewesen. Hatte sich aber doch gelohnt. Zufrieden joggte Stéphane ins Nachbardorf, in dem das Auto stand, das er sich geliehen hatte. Stéphane hatte gehört, dass Marga ihr Schloss verkaufen wollte. Ein Bekannter hatte es besichtigt und erzählt, dass es voller Antiquitäten war. Die Sicherheitsanlagen waren zwar nicht sehr gut, aber die Wächter waren praktisch immer da. Das machte Stéphane nichts aus. Er war ja kein Dieb, oder jedenfalls stahl er nur, wenn es notwendig war.

Stéphane hatte – genau wie Marga – schon in seiner Kindheit beschlossen, dass er nicht das Kind seiner Eltern sein konnte. Jedes Mal wenn seine Mutter ihm drohte, dass sie ihn ins Kinderheim geben werde, sagte er: „Mach doch!“ Und er meinte das auch so. Es konnte nicht schlimmer sein, in einem Kinderheim zu leben. Mit siebzehn fand er einen Liebhaber, Sacha, der bereit war, ihn bei sich aufzunehmen und für ihn zu sorgen. Stéphane war bisexuell. Sacha war Anwalt und verdiente gut. Das war ja schön und gut für Stéphane, aber er wollte gern frei sein und sein eigenes Geld besitzen, wenn auch nicht unbedingt verdienen. Einen Beruf ausüben klang nach Einschränkung, Anstrengung und Verzicht.

Eines Tages schlenderte Stéphane durch Marseille und kam am Friedhof Saint-Pierre vorbei. Auf dem Bürgersteig stand ein Zelt. Jemand schien dort zu wohnen. Drei Wochen später kam er wieder an der gleichen Stelle vorbei. Inzwischen standen dort zwei Zelte und davor standen sogar Möbel, ein Bürostuhl, ein Nachtschrank, eine Art Teppich. Hier wohnte jemand, der so arm war, dass er inmitten der Stadt von deren Abfall lebte. Niemand bettelte am Zelt, aber vielleicht saß der Bewohner des Zeltes irgendwo in der Innenstadt und bettelte dort. Das erschreckte Stéphane. Man konnte soweit sinken, dass man mittellos auf der Straße hausen musste. Aber das Leben ging weiter. Die Leute eilten geschäftig an den Zelten vorbei und verschwendeten keinen Gedanken an deren Bewohner. Niemand gab sein Geld freiwillig den Armen. Es gab kein Erbarmen, keinen Robin Hood. Die Wirklichkeit war grausam. Was wäre, wenn Sacha ihn eines Tages hinauswerfen würde? Würde er dann hier enden?

Stéphane wollte nicht arbeiten gehen. Er hatte vielfältige Gaben und Hobbys. Einem so intelligenten und belesenen Menschen stand doch die Welt offen, auch wenn er keinen Schulabschluss hatte. Stéphane war sportlich, er konnte richtig gut fechten. Sein eigener Körper begeisterte ihn. Er hatte auch gern Sex. Es war ihm aber klar, dass er nicht immer jung und schön bleiben würde. Stéphane war jetzt einundzwanzig. Vielleicht würde der Tag kommen, an dem weder ein Mann, noch eine Frau bereit wäre, seinen Unterhalt einfach nur dafür zu bestreiten, dass er bei ihnen wohnte. Na gut, er war witzig und unterhaltsam, das würde ihn vielleicht auch nicht retten. Ob er kochen lernen sollte? Liebe ging doch durch den Magen? Oder ob er im Alter wie Giacomo Casanova bei irgendeinem Gönner in der Bibliothek arbeiten und Bücher über sein eigenes Leben verfassen würde?

Stéphane liebte Sacha nicht, aber er hatte auch nichts gegen ihn. Sacha war gut zu Stéphane. Sacha dachte, der Junge litte unter Mythomanie, denn Stéphane konnte lügen ohne zu erröten und tat es gern auch dann, wenn es absurd und unnötig war. Stéphane fand, dass es eine Kunst war, zu lügen. Eine Kunst, die man üben musste. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Sacha musste doch auch nicht alles wissen. Eifersucht war sowieso Besitzdenken. Da sollte man doch drüberstehen. Dementsprechend verschaffte sich Stéphane gelegentlich ein Zubrot.

Es gab immer wieder Menschen, die Stéphane durchschauten. Aber das war ihm egal. Er war dann auch nicht wütend. Er sagte immer, dass man ehrliche Menschen nicht betrügen könne. Das war doch ein Lob gegenüber den Leuten, die ihn durchschauten. Und zugleich setzte es alle herab, die er betrogen hatte. Die Betrogenen schwiegen beschämt oder glaubten weiterhin, Stéphane sei ehrlich, habe nur Pech gehabt und das Geld würde schon noch kommen. Es war überraschend, wie viele Leute sich von Schmeicheleien beeinflussen ließen und ihn für einen absolut ehrlichen Menschen hielten. Stéphane bot den Leuten Möglichkeiten, denen sie nur selten widerstehen konnten und wenn sie merkten, dass seine Angebote aus falschen Hoffnungen, schönen Geschichten und gefälschten Papieren bestanden hatten, konnten sie ihn nicht einmal anzeigen. Er hatte schon genug Geld, um sich im Ernstfall ins Ausland abzusetzen. Er konnte Marga anbieten, wegen der Steuer ein Haus zu kaufen, das er gar nicht besaß. Das klingt so nicht sehr plausibel, ähnliche Sachen hatte er aber schon mit anderen Leuten durchgezogen. Stéphane konnte ihr auch anbieten, sich in ein fiktives Geschäft einzukaufen. Er wusste noch nicht genau, wie oder ob er Marga um Geld erleichtern würde. Improvisation war gefragt.

Am nächsten Tag fuhr Stéphane mit dem geliehenen Auto zum Schloss. Es war ein älterer, schwarzer Mercedes, der solide und vertrauenerweckend wirkte. Stéphane hatte eine Packung Mozartkugeln als Geschenk dabei. War gar nicht so einfach gewesen, in Südfrankreich an Mozartkugeln zu kommen. Jean-Pierre öffnete das Tor und ließ den Besucher ein. Ihm war das alles nicht geheuer. Erst Argentin, dann dieser Jungspund. Der junge Mann war sehr höflich. Er entschuldigte sich bei Jean-Pierre für seine Unvorsichtigkeit und bedankte sich für die Fürsorge. Wenn er eine Beule ins Auto gemacht habe, dann würde er für die Ausbesserung bezahlen. Jean-Pierre war ganz baff. Er versicherte dem jungen Mann, dass es nicht nötig sei, das Auto zu reparieren. Es sei sowieso alt, klapprig und habe viele Beulen. Trotzdem drückte Stéphane dem verdutzten Jean-Pierre einen Hundert-Francs-Schein in die Hand.

Nach einer freundlichen Unterhaltung ging Stéphane ins Schloss, wo Marga mit Kaffee, den Jean-Pierre aufgebrüht hatte, und Kuchen, den Jean-Pierres Frau gebacken hatte, auf ihn wartete. Sie aßen und tranken und dann zeigte Marga dem jungen Mann ihre Degensammlung. Historische Degen. Stéphane probierte jeden aus und hüpfte damit – zu den Klängen von Mozarts Zauberflöte – durch das Schloss. Ihm wurde warm und er musste sich nach und nach einiger Kleidung entledigen, bis sein Oberkörper immerhin nackt war. Ein dünner Schweißfilm glänzte auf stahlharten Muskeln unter seidiger Haut. Ganz wie in einem Werbespot mit weiblicher und schwuler Zielgruppe oder einem der schon oben erwähnten Groschenromane. Marga hätte fast gesabbert und fragte ihn schließlich, ob sie seine Muskeln mal anfassen dürfe. Sie durfte. Aber das war es auch schon. Als Stéphane nicht mehr herumhopste, wurde ihm kalt und er zog sich wieder an. Er bedankte sich für den schönen Nachtmittag und lud Marga für den übernächsten Abend zum Essen in ein Restaurant ein. Stéphane nahm an, dass sich die Investition irgendwann lohnen würde. In einem Restaurant würde sich Marga wenigstens nicht an ihn ranmachen. Sie war nicht sein Typ. Bei Frauen war sein Typ jedenfalls unter dreißig Jahren alt, was er natürlich nicht sagte. Marga war ein bisschen enttäuscht, hielt sich aber danach an Jean-Pierre, der „aufräumen“ musste.

Abends spielte Stéphane Sacha vor, wie er mit den Degen durch das Schloss gehopst war. Sacha machte das ein bisschen eifersüchtig, aber hauptsächlich machte es ihn an. Es beunruhigte ihn dennoch, dass der junge, seiner Meinung nach unerfahrene Stéphane mit dieser Frau in Kontakt stand. Marga hatte in der Schwulenszene einen gewissen Ruf, nachdem sie versucht hatte, einen sehr schwulen Innenarchitekten zu nötigen. Der hatte gar nicht gekonnt, was Marga von ihm gewollt hatte. Eine sehr unangenehme Geschichte, die damals wie ein Lauffeuer verbreitet wurde. Nicht nur, weil der Innenarchitekt es jedem erzählte, sondern auch, weil er auf den Straßen Marseilles in Margas Nachthemd gesehen worden war. In einem kleinen Kabarett in der Marseiller Innenstadt sang man ein paar Wochen lang ein Lied dazu. Jemand hatte einen vulgär-humoristischen Text auf die Melodie eines bekannten Chansons verfasst. Grob übersetzt lautete der Refrain: „In der Sauna von Margarete zahlt man in Natura und nicht mit Knete“. Das entbehrte natürlich jeglicher Grundlage, denn Marga hatte gar keine Sauna und Geld war ihr lieber als alles andere.

Stéphane schlug Sachas Warnungen in den Wind. Am übernächsten Abend ging er mit Marga in ein teures Restaurant. Marga ging sonst nie in Restaurants, weil man dort Geld bezahlen musste, aber wenn sie eingeladen wurde, dann war das in Ordnung. Sie lachten viel. Stéphane war so witzig. Er gab dem Personal dicke Trinkgelder, und alle schienen ihn zu kennen. Sie nannten ihn „Monsieur Stéphane“. Marga wunderte sich nicht. Sie kam sich bekannt und umschwärmt vor, wie in ihrer „Opernzeit“. Jean-Pierre wartete draußen auf Marga und hörte im Auto Johnny Hallyday-Kassetten. Es war eine laue Nacht und Jean-Pierre war nicht unzufrieden, sie im Auto sitzend zu verbringen, auch wenn er dafür nicht extra bezahlt wurde. Schließlich kamen Marga und Stéphane aus dem Restaurant. Der junge Mann hatte zu viel getrunken und konnte nicht mehr fahren. Marga erwartete, dass er mit zu ihr käme. Da hatte sie sich aber getäuscht. Stéphane nannte Jean-Pierre eine Adresse in Mazargues, einem feinen Viertel von Marseille. Dort stieg der junge Mann aus, winkte und verschwand im Eingang zu einem Grundstück. Marga war so enttäuscht, sie hätte fast geweint. Nur gut, dass Jean-Pierre da war. Inzwischen kam es dem Wächter so vor, als nütze ihm die Bekanntschaft Margas mit dem jungen Stéphane sogar. Stéphane wartete in den Schatten, bis das Auto außer Sichtweite war, dann ging er heim. Ein kleiner Fußmarsch unter den Sternen in frischer Luft, das würde ihm guttun.

So ging es ein paar Wochen weiter. Stéphane unternahm zweimal in der Woche etwas mit Marga, ging nie mit ihr ins Bett, präsentierte aber häufig die Vorzüge seines Körpers und machte ihr Hoffnungen. Sie gingen Essen, in Bars, ins Theater und in die Oper. Marga reagierte ihre Frustration danach jedesmal an Jean-Pierre ab. Das war so offensichtlich geworden, dass dessen Frau ihn schließlich verließ. Sie zog ganz klassisch zurück zu ihrer Mutter. Inzwischen hatte Stéphane beschlossen, Marga ein halbes historisches Haus im ersten Bezirk von Marseille zu verkaufen. Natürlich besaß Stéphane das Haus nicht. Es stand gerade zum Verkauf. Stéphane ließ bei Marga durchblicken, dass er das Haus gerne kaufen würde. Es wäre fantastisch für einen Antiquitätenladen und böte noch genug Platz für vier große Wohnungen. Das Haus war im 17. Jahrhundert erbaut worden und hatte eine besonders pittoreske Fassade. Sie besichtigten das Haus gemeinsam. Marga fand das alles ganz aufregend. Es würde soviel zu dekorieren geben. Dann verkündete Stéphane jedoch, er habe momentan nicht soviel Geld flüssig, da er noch in verschiedene andere Objekte investiert habe. Er werde versuchen, sich einen Teilhaber zu suchen. Marga war begeistert: „Ich kann deine Teilhaberin werden.“ Stéphane strahlte: „Das ist eine wunderbare Idee.“ Stéphane ließ sich die notwendigen Papiere fälschen. Marga überwies ihm anderthalb Millionen Francs von einem Schwarzgeldkonto („der Staat muss ja nicht alles wissen“). Stéphane löste daraufhin sein Konto auf und verschwand. Er fragte Sacha sogar noch, ob der mitkommen wolle. Sacha war untröstlich, wollte aber seine Familie nicht verlassen. Seine alte Mutter. Er war wochenlang in Tränen aufgelöst. Also fuhr Stéphane allein nach Kanada, wo er seine Karriere fortsetzte.

Marga tobte. So etwas war ihr noch nie passiert. Normalerweise fälschte sie Gegenstände und betrog damit ihre Kunden und nicht umgedreht. Sie merkte, dass sie nicht einmal den richtigen Namen des infamen Betrügers kannte. Da musste sie einsehen, dass die „Opernzeit“ definitiv vorbei war. Sie wollte sich wieder ganz aus dem gesellschaftlichen Leben zurückziehen und ihr Blick fiel auf Jean-Pierre, der nun wusste, dass Stéphane wirklich ein Segen für ihn war. Jean-Pierre machte Marga einen Heiratsantrag und sie nahm an.

Jean-Pierre hatte Stéphane zum Leichenschmaus eingeladen, aber Tod war nicht so Stéphanes Ding. Er schickte nur eine Beileidskarte und einen Kranz. Der Betrüger wohnte inzwischen wieder in Frankreich. Nach ein paar Jahren im Gefängnis hatte er begonnen, autobiografische Romane zu schreiben. Er hatte auch Marga erwähnt, hatte die Zeit ihrer Bekanntschaft mit ein paar übertriebenen Details ausgestattet und extra darauf hingewiesen, dass es ihre eigene Idee gewesen war, ihm Geld zu geben. Sie wollte unbedingt mit ihm zusammen sein und wollte dafür sogar anderthalb Millionen zahlen. Aber immerhin hatte er nicht ihren richtigen Namen genannt. Stéphane war Marga sogar ein bisschen dankbar, denn sie hatte ihm die Fahrt nach Kanada ermöglicht. Sie war seine Gönnerin gewesen, wenn auch nicht freiwillig. Die Dankbarkeit war aber nicht groß genug, um sich Margas Begräbnis anzutun.

Hier ist das erste Buch Leben mit Marga von Charlotte Palme in neun Teilen nachzulesen:
Teil 1: Voodoo
Teil 2: Es hat Füße
Teil 3: Marga schreibt ein Buch
Teil 4: Griselidis
Teil 5: Jean-Pierres Wunsch geht in Erfüllung
Teil 6: Reinkarnierte Hunde
Teil 7: Abstürze
Teil 8: Schrecken
Teil 9: Auferstehnung

Hier ist das zweite Buch Leben ohne Marga von Charlotte Palme nachzulesen:
Teil 1: Leichenschmaus
Teil 3: Jagdfieber
Teil 4: Das Frohe leben am Hofe