Wird das Internetz zunehmend unsichtbarer, weil es bald Bestandteil jeder technischen Anwendung sein wird? Wird das jetzige Internat als Informations-Medium zunehmend ein Funktions-Medium sein? Und wird es in all seiner Unsichtbarkeit das perfekte Überwachungs-Medium? Garantiert.
Das Ende des Webs in seiner heutigen Form ist zugleich das Ende der Webseite in ihrer bisherigen Form. Apps als fokussiertere Funktionsträger und Social Media haben die klassische Webseite in ihrer Relevanz längst überholt. Brauchen wir noch Browser? Am Chromebook oder dem App-orientierten Multifunktions-Fernseher sieht man, wie der Browser in seiner alten Form für den arglosen Anwender in eine betriebssystemartige Oberfläche transformiert wurde und auch bei betagteren Betriebssystemen ist zunehmend die Verschmelzung von Desktop und Web verwirklicht. Die Zukunfts-Formel für den Anwender lautet: Benutzeroberfläche = Browser.
Browser, Betriebssystem und Desktop
Ist mit abnehmender Relevanz singulärer Webseiten und der Annährung von Betriebssystemoberfläche und Browser das Ende des Desktops eingeläutet? Denn Cloud-Anwendungen werden immer schneller und komfortabler und ersetzen die Funktion des stationären Rechners durch eine Mobil-Daten-Verfügbarkeit. „Zuhause“, das ist inzwischen nicht mehr der heimische Desktop, sondern die Startseite von Facebook, Twitter oder Instagram sowie das Chatprogramm auf der einen Seite und eine Cloudanwendung wie „Google Drive“ auf der anderen Seite. Das aktuelle Zuhause ist verzweigter und aufgefächerter und scheint überall da, wo man sich befindet, vorhanden zu sein – auch wenn ein eigentliches Zuhause stabiler und verlässlicher sein sollte.
Das Überall-Internet
All das ist eigentlich nicht mehr der Rede wert, weil es sich längst sichtbar (für den Experten) bzw. unsichtbar (für den Laien) vollzogen hat. Es wird auf eines hinauslaufen: dass das Internet viel selbstverständlicher überall sein wird und nicht mehr explizit sichtbar vorhanden sondern anstatt dessen einfach überall enthalten ist. Das Internet wird zum Unterbewusstsein aller technischen und nicht-technischen Dinge. Es ist im Sinne der Medienkonvergenz bereits die Grundlage aller gesamtgesellschaftlichen technischen Funktionen für alle Informationen und für jede Form medial vermittelter Kommunikation. Das Internet wird in jedem Gerät, in jedem Hundehalsband, in vielen Alltagsgegenständen zu finden sein, in jedem Auto, in jedem Fahrrad, an jedem Arm in Form einer Uhr, an jedem Kopf in Form einer Brille oder sonstwie am oder im Körper. Individualkonzepte wie WLAN machen da nur noch ökonomisch Sinn, nicht aber funktional. Eigentlich müsste das Internet permanent und überall über eine Abgabe wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen zur Verfügung stehen, ganz egal, wo man sich gerade aufhält. Durch diese permanente Verfügbarkeit gerät sein Vorhandensein aus dem Bewusstsein.
Das unsichtbare Web
Das Internet als Diskussionsthema und als sichtbares Netz wird transparenter bis zur Unkenntlichkeit werden, bis es nicht mehr zu sehen ist. Auch deshalb, weil es unsere reale Welt so ersetzen wird, wie Kunststoff vielerorts die Werkstoffe Holz und Metall ersetzt hat. Das Web wird nicht nur dazu beitragen, dass die Welt künstlicher wird, und sich dem Diktat von 1/0, von entweder/oder unterordnen muss, es wird diese andere Welt sein: virtuell, scheinbar, eigentlich. Es wird so sehr Teil unserer Wahrnehmung und unserer Gedanken sein, dass es zweierlei in viel relevanterem Maße als heute verkörpern wird:
- zum einen das Instrumentarium der Manipulation, die virtuelle Realitäten schafft, die von der Realität nicht mehr zu unterscheiden sind,
- zum anderen eine kritische Gegenöffentlichkeit, die mißliebige Wahrheiten rasend schnell verbreiten aber zunehmend dafür sanktioniert werden wird.
Der Bürger in Datenform
Die NSA und ihr europäischer Kooperationspartner, der britische GCHQ und der deutsche BND, haben den Ehrgeiz entwickelt, die kompletten Onlineaktivitäten der eigenen Bevölkerung und gar der Menschheit abzubilden und zu überwachen. Seit Edward Snowden weiß man konkreter, dass die Geheimdienste auch Mittel der Medienmanipulation anwenden. Das Internet der Zukunft wird kein freier Ort sein, sondern ein Instrument der Überwachung, von Zensur und Informations-Einschränkung. Informationsagenturen werden Profile aller Bundesbürger zur Verfügung haben, was jetzt schon in beängstigem Ausmaß realisiert ist, die zu einer Beurteilungsbürokratie des Menschen führen werden. Information wird zunehmend zum Druckmittel und Freiheiten einschränken. Die Eigenschaften eines jeden Menschen liegen offen, der Mensch der Zukunft ist erpressbarer und unterdrückbarer denn je.
Digitalität ist transportabler
Dass digitale Datenbestände eine andere Qualität haben als analoge Aktenberge haben z.B. Steuersünder zu spüren bekommen: Millionen Datensätze sind im Nu auf CD gebrannt und an die Behörden weitergegeben. Auch Edward Snowden konnten die Millionen Datensätze des NSA nur deshalb kopieren, weil sie digitalisiert vorlagen. Bankgeheimnis? Arztgeheimnis? Steuergeheimnis? Beichtgeheimnis? Das Web wird dazu beitragen, dass es nur noch Geheimnisse unter zwei Voraussetzungen gibt:
- Nur wenn keine technisch-mediale Kommunikation stattfindet, man sich also ohne Beisein eines digitalen Kommunikationsgerätes von Mensch zu Mensch unterhält und
- wenn eine Datenflut zu groß wäre, um darin etwas finden zu können.
In diesem zweiten Punkt liegt eine große Chance, sowohl für Verschlüsslungsalgorithmen als auch für die individuelle Sicherheit. Die Nadel im Heuhaufen könnte letztlich unauffindbar sein, weil der Aufwand für ihre Suche zu groß wäre.
Fake-Web und Web-Kultur
Das Web wird aber noch anderweitig nicht nur die Informations-Durchlässigkeit beschleunigen, es wird auch zu kommunikativer Unsicherheit beitragen. Potenziell die Gedanken und Meinungen jedes Menschen werden Teil der Öffentlichkeit. Schon jetzt überfluten Verschwörungstheorien, Besserwisserei und politisch kalkulierte Diffamierungen die öffentliche Kommunikation im Web – ob in sozialen Netzwerken oder in den Kommentarblöcken von Webseiten. Was früher nur zu vorgerückter Stunde am Stammtisch zu vernehmen war, ist längst schriftlich nachzulesen und bleibt es auch – unter Umständen für alle Ewigkeit in den Rechenzentren der Geheimdienste, die zukünftig standartisiert das gesamte Internet abspeichern.
Mobilität der Überwachung
Dabei spielt eine wesentliche Rolle, dass das Web nicht mehr stationär sondern mobil geworden ist und dass es immer näher an den Menschen bzw. den menschlichen Körper heranrückt. Ein Gadget, dass man Tag und Nacht bei sich hat, liefert permanente Information, dient aber auch der permanten Überwachung. Jeder Mensch hat sein soziales Umfeld und sein individuelles Bewegungsprofil. Der Mensch und seine Daten werden Regierungen, Arbeitgebern, Diktaturen und Sklaventreibern neue Möglichkeiten bieten. Vor diesem Hintergrund erscheint „1984“ von George Orwell, der ikonografische Roman über den Überwachungsstaat, nicht mehr als Zukunftsvision sondern nur noch als rudimentäres Konzept einer viel umfassenderen Überwachung. Die Technologien und die geweckten Begehrlichkeiten verwandeln die Demokratie und ihre Werte schon jetzt. De facto existiert keine informationelle Selbstbestimmung mehr. Ein technisch-sozial grundierter Antagonismus zwischen Exihibitionismus und Voyeurismus hat unsere Medienwirklichkeit durchtränkt.
Web ohne Ethik
Das Internet der Zukunft existiert ohne das alte Wertesystem, das am Menschen ausgerichtet war. Es ersetzt Ethik durch technische Machbarkeit. Ein Teil der hoch technisierten Menschheit wird dadurch verrohen, ein anderer Teil an die Errungenschaft der menschlichen Zivilisation erinnert. Dazwischen wird Funktionalismus der eigentliche Mainstream sein. Wenigen wird das Netz der Zukunft neue, phantastische Möglichkeiten im Hinblick auf Informationsselektion, erweiterten Funktionalitäten des menschlichen Seins und Vorteilen wie Geschwindigkeit bieten. Denn virtuelle Realitäten sind auch eine Spielwiese. Einigen mehr wird das Zukunftsweb neue Formen der Arbeit erschließen. Die Masse aber wird weniger selbstbestimmt leben, wird in ihrer Arbeitskraft maschinell-digital ersetzt oder deklassiert und in ihrer Arbeitseffizienz überwacht und gegängelt werden. Der neue Digitalismus bedeutet nicht zuletzt eine Degradierung der Menschlichkeit ansich.
Das Web der Politik
Digitale Daten sind transportierbar, verarbeitbar und auswertbar. Der Digitalismus macht eine Beschreibbarkeit der Welt und aller Wesen in ihr möglich, die es vorher nicht gab. Das hat in großem Umfang etwa ab dem Jahr 2000 Begehrlichkeiten der kommerziellen Verwertbarkeit geweckt. Google, Facebook oder Amazon sind aus dieser Zeit zu Riesenkonzernen angeschwollen, die in ihrer Wirkmacht den Nationalstaaten Konkurrenz machen. Sie umgehen Steuerzahlungen, überwachen ihre Nutzer in einer hemmungslosen Art und Weise und machen deren Datensätze zu Geld. Aber auch die Politik ist gierig geworden nach den Daten ihrer Bürger. Inzwischen gibt es eine Art Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Unternehmen und Regierungen um die Hoheit über diese Daten mit unterschiedlichsten Ausprägungen. Da die genannten Unternehmen und andere wie Apple oder Microsoft amerikanische Unternehmen sind, kooperieren sie freiwillig oder gezwungenermaßen mit den Geheimdiensten. Sie liefern heimlich Daten, wie sie die Geheimdienste früher nur im Traum elangen konnten: Daten über die ganze Welt und über jeden Menschen in ihr. Der Digitalismus ist in Form dieser Konzerne eine vielköpfige Hydra, der man kaum entkommen kann.
Grenzen für Datenhändler
Die europäische Politik hat den Konzernen auf verschiedenen Ebenen den Kampf angesagt aber es bleibt offen, was daraus wird. Für den Bürger und seine nicht nur informationelle Freiheit bedeutet ein flächendeckender Digitalismus eine Vielzahl an Funktionen und eine Beschneidung seiner Bürgerrechte mit mehr Angst. Der Bürger erinnert in senem Verhalten aber vielerorts an ein Schaf, das denkt, es wäre auf dem Weg in den Urlaub, während es jedoch datenmäßig zur Schlachtbank geführt wird. Ändern ließe sich das politisch, wenn das Bewusstsein für Datenschutz ein wichtiges Wahlkriterium würde. Bis dahin ist das weltumspannende Web inzwischen nicht viel mehr als ein Nutztier, aus dem kommerzielle Interessenvertreter maschinell den letzten Datentropfen herausmelken. Das Web der nahen Zukunft als ein System der Allgegenwärtigkeit, dem man zunehmend schwerer entkommen kann, etwa indem man unsexy auf Old-School-Technik zurückgreift.
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