ReligionskunstMenschliches Leben zumal in einer Kulturgemeinschaft strebt nach Sinn. Sinn ist ein Erklärungsmuster, oft genug ein Welt-Erklärungsmuster. Bezogen auf ein Menschenleben und seine Herausforderungen mündet die Sinnsuche ein System, das die Realität oder das, was hinter der wahrnehmbaren Realität verborgen liegen mag, erklärt. Was aber nicht direkt und erfahrbar erklärt werden kann, wird in ein Glaubenssystem überführt. Während der religiöse Glaube für den Atheisten den Charakter einer Behauptung oder Mutmaßung hat, ist jedweder Glaube innerhalb jeder Sinnsuche ein zentrales Element.

So nimmt es nicht Wunder, dass der traditionelle Motor von Sinnstiftung im Alltag die Religion war und mit Einschränkungen je nach kulturellem Rahmen auch ist. Als Medium systematischer Sinnstiftung dient daneben die meist nicht-alltagstaugliche Philosophie. Neben dem religiösen Glauben an eine Transzendenz gibt es einen verstandesbasierten Glauben zum Beispiel selbst in der Wissenschaft. Welterklärungs-Theorien wie etwa die String-Theorien basieren auf der Interpretation von Berechnungen. Dennoch sind die Theorien keine empirischen Erkenntnisse, die wissenschaftlich bewiesen sind. Es handelt sich dabei um den Glauben an die Richtigkeit einer Theorie.

Glaubensanteile in der Kunst

Kunst ist das Ergebnis vom Zusammenspiel zwischen Wahrnehmung und Informationsverarbeitung, zwischen Verstand und Gefühl. In diesem Wechselspiel entsteht Kunst im Kopf des Künstlers als eine eigene Welt mit Glaubensanteil. Der ist meist sensorisch fundiert, kann religiös motiviert oder gefärbt sein, philosophisch als Resonanzkörper der Geschehnisse in der Lebenswirklichkeit des Künstlers oder sogar rational-wissensbasiert. Letzteres etwa wie bei M.C. Escher oder zum Teil wie bei Leonardo da Vinci, der auf der Trennlinie zwischen Kunst und Wissenschaft agiert hat.

Welt-Erklärung und Welt-Mutmaßung

Beide, die Religion und die Philosophie, bieten konkurrenzlos umfassende selbstbildkompatible Erklärungen für Mensch und Weltgeschehnisse. Doch es gibt einen dritten Sinnstifter, dessen Spezialisierung die Wahrnehmung der Welt ist: die Kunst. Sie hat beiden, der Religion und der Philosophie, in deren Diensten sie einst stand, Welterklärungs-Anteile abgenommen – obwohl sie eigentlich individuell welterklärend ist.

Philosophie und Glaubenssystem

Während die Philosophie ein in sich logisches System sein will und damit der Mathematik mit ihren Beweisführungen verwandt ist, ist die Religion im Gegensatz dazu ein offenes Glaubenssystem. Glaube nimmt dort seinen Platz ein, wo Wissen und Beweisführung ins Leere laufen. Ins System der Philosophie passt nur, was logisch folgerichtig ist. Glauben lässt sich an alles, unabhängig von Wissen und Logik. Wie weit Glaube gehen kann, zeigt sich im Negativen an Verschwörungstheoretikern, die an alles glauben können. In der Menschheitsgeschichte gab es oft preudowissenschaftlichen Glauben, etwa dass die Erde eine Scheibe oder das Zentrum des Sonnensystems ist oder dass es unbedenklich ist, atomaren Müll im Meer zu verklappen.

Philosophie und Religion

Während also die Philosophie als Welterklärungsansatz ein streng eingeschränktes System von Logik und Folgerichtigkeit etabliert hat, ist der Glaube ein freieres System. Die Philosophie spricht den Menschen über seinen Verstand und seine Rationalität an, der Glaube wendet sich an Gefühl und Intuition. Sinn kann aus beidem entstehen, wobei es bei existenziellen Grenzerfahrungen immer um Emotion geht, die durch den Glauben abgedeckt wird. Bezüglich der Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt, kann die Wissenschaft keine Antwort geben und die Philosophie nur mutmaßen. Die Religion ist so frei, eine klare Antwort zu geben und diese Antwort zum Teil eines Glaubensbekenntnisses zu machen, wodurch die Antwort auf die Frage nach einem Leben nach dem Tod den Stellenwert einer Tatsache innerhalb der Glaubensgemeinschaft erhält.

Künstlerisch visualisierte Glaubensinhalte

Die Kunst diente jahrhundertelang der Visualisierung von Glaubensinhalten. Im Rahmen von Kunst wurde Gott visualisiert, die Engel, der Teufel, die Kreuzigung oder Tod und Auferstehung von Jesus Christus. Das Symbol des gekreuzigten Heilands prägt bis heute viele Orte visuell. Zu jeder Religion gehört eine Ästhetik des Endzeitlichen zwischen Kitsch, Transzendenz und Kirchen, die an gen Himmel gerichtete Raumschiffe erinnern. Religion mit den mächtigen Kirchen als Auftraggebern definierte also auch Kunst- und Kulturräume. Mit dem Erstarken der Aufklärung zwischen etwa 1650-1800, einer kulturell-sozialpolitischen Reifephase für Europa und Nordamerika, änderte sich auch die Ästhetik der Kunst. Im Vordergrund der Zielsetzungen standen Begriffe wie Rationalismus und Wissen(schaft), Freiheit und Toleranz. Damit wurden auch Grundlagen für freiere Kunstformen geschaffen.

Kunst der Rationalität

Kunst hat aber auch philosophische Inhalte transportiert, hat mit mathematisch idealen Proportionen gespielt. Bauhaus-Künstler und -Influencer wie Wassily Kandinsky, Johannes Itten, Max Bill, Josef Albers oder andere Künstler wie Piet Mondrian oder Victor Vasarely aber auch ein surreal anmutender Op-Artist wie M.C Escher machten logische Beziehungen zwischen Farben, Formen und Proportionen zu ihrem Thema. Damit wurden gleichermaßen Freiheit wie inhaltliche Strenge künstlerisch ausgedrückt. Diese Kunst fand ihren Sinn im Systematischen.