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Kontrovers und exzentrisch: William Gaines.

Comic-Verfilmungen gibt es nicht erst seit gestern. Deren Erfolg ist dabei stetig größer geworden, was gerade in den letzten zehn Jahren niemandem entgangen sein dürfte. Man könnte sich zu der Behauptung versteigen, dass das Medium Comic über den Umweg des Kinos doch noch den Weg in den kulturellen Mainstream und die Akzeptanz des breiten Publikums gefunden hat.

Eines ist dabei jedoch bisher noch ziemlich im Dunkeln geblieben: Wer sind eigentlich die Menschen hinter den Bildergeschichten? Wenn man sich einmal die Beziehung von Film und Literatur ansieht, dann fällt auf, dass die Schöpfer mindestens genauso viel Aufmerksamkeit von den Filmleuten erfahren, wie ihre verfilmten Werke.  Filme über Shakespeare,  Austen, Wilde oder Schiller sind fast ebenso zahlreich wie Hamlet- oder Dorian Gray-Verfilmungen. Wer aber steht hinter Super-, Spider-, oder Iron Man? Namen wie Jack Kirby, Bob Kane oder Stan Lee sagen auch heute nur dem Eingeweihten etwas.

Aber dann tauchte vor einiger Zeit in den Weiten des Netzes eine kurze Meldung auf, die die meisten unter ferner liefen abgespeichert haben dürften, wenn sie sie denn überhaupt registriert haben:  John Landis, erfolgreicher Regisseur von Klassikern wie „Blues Brothers“ und „American Werewolf“ (bis ihm der Flop „Blues Brothers 2000“ eine unfreiwillige Karrierepause bescherte),  plant ein Comeback. Und zwar mit einem Biopic über William  Gaines.

Wiliam wer?

Hierzulande dürfte seine Person nahezu unbekannt sein. Schon eher klingelt es da bei dem Titel „Tales from the Crypt“: Eine Horror-Comicserie aus den 1950ern, die spätestens durch die gleichnamige Fernsehserie aus den Neunzigern auch bei uns einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt hat. Diese wurde zwischen 1950 und 1954 von dem Verlag EC Comics vertrieben, der sich damals auf Horror- und Crime-Comics spezialisiert hatte. Der Herausgeber, der für diese Ausrichtung verantwortlich war,  war eben jener William Gaines.

Wenn man sich nun einmal mit der Geschichte dieses Mannes und seines Verlages beschäftigt, verwundert es kaum noch, dass diese nun zur Quelle eines der ersten Filme über die Macher von Bildergeschichten herangezogen wird. Diese ist nämlich in sich schon so filmförmig, dass es verwundert, dass sich nicht schon früher ein Drehbuchautor über dieses gefundene Fressen hergemacht hat. Spielen wir es doch einmal durch:

Ende der Vierziger Jahre: Da haben wir unseren jungen Helden Bill Gaines, Sohn des Comicverlegers Maxwell Gaines. Dessen braver, kleiner Verlag Educational Comics führt eine Reihe von pädagogisch wertvollen Reihen mit Comicumsetzungen von Bibelgeschichten oder amerikanischer Geschichte. Der ältere Gaines zeigt dabei durchaus Geschick, da EC Comics als erster Verlag dazu übergeht, seine Hefte an den Zeitungsständen verkaufen zu lassen.

William allerdings zeigt kein Interesse am Geschäft seines Vaters, oder an Comics überhaupt. Nach dem Krieg, den er in einer Kasernenküchenmannschaft in Oklahoma City verbrachte, nimmt er ein Studium auf, mit dem Ziel Chemie-Lehrer zu werden. Kein Gedanke daran in die Fußstapfen seines Vaters zu treten.

Aber dann, Auftritt des Schicksals: Maxwell Gaines kommt 1947 bei einem Bootsunfall tragisch uns Leben. Sein Sohn sieht sich nun vor die Situation gestellt die Nachfolge antreten zu müssen. Begeistert wird er nicht gewesen sein, aber er fügt sich in dieses Schicksal.

Der Held, der sich seiner Aufgabe zunächst verweigert und erst durch ein äußeres Ereignis dazu gebracht wird diese anzunehmen, kann als eine DER Grundkonstellationen filmischen Erzählens angesehen werden; ein Plot Point wie aus dem Lehrbuch.

Williams Begeisterung wird  auch dann nicht sonderlich gestiegen sein, als er erfuhr, dass der Verlag hoch verschuldet war. Bibel- und Geschichtscomics mögen zwar ein ehrenwertes Anliegen sein, liegen wohl aber eher wie Blei an den Ständen. Man kann sich gut vorstellen, dass der junge Gaines  in dieser ihm aufgezwungenen Situation durchaus wütend sein könnte auf den verstorbenen Vater, der ihn in diese Lage gebracht hatte.

Und schon haben wir eine wunderbare Motivation für unseren Helden. Daddy Issues,  ebenfalls ein sehr beliebtes Motiv bei Film- und Fernsehmachern.

Gewalt und Politik

Er braucht wohl eine Zeitlang, doch dann fasst er einen Entschluss: Gut, ich nehme das Erbe an und versuche den Verlag so gut es geht zu führen. Aber auf meine Weise.

William Gaines ist kein Idealist wie sein Vater, sondern sehr viel pragmatischer eingestellt. Er sieht sich auf dem Markt um und stellt fest, dass sich vor allem Crime Comics gut verkaufen; Geschichten aus der Halbwelt des Verbrechens, die im allgemeinen mit recht drastischen Gewaltdarstellungen einher gehen.

Ab 1949 also krempelt er den Verlag in kürzester Zeit um. Aus Educational Comics wird Entertaining Comics, das Verlagsprogramm wird auf das von Gaines ausgerufene “New Trend“-Programm umgestellt, das sich in erster Linie aus Horror-, Science Fiction- und Crime-Titeln zusammensetzt.

Der  Erfolg gibt ihm Recht: Die neuen Serien verkaufen sich wie geschnitten Brot. Vor allem die drei Horror-Reihen „Tales from the Crypt“ , „The Vault of Horror“ und „The Haunt of Fear” werden zum Zugpferd des Verlags.  Jede Ausgabe enthält drei bis vier abgeschlossene Geschichten, die in ihrer expliziten Darstellung von Gewaltszenen eine neue Qualität erreichen.

Doch auch wenn es oberflächlich den Anschein haben mag, sind die EC-Comics keine stumpfen Machwerke, die allein an die niederen Triebe der Leser appellieren, denn Gaines und seine  Chefredakteure Harvey Kurtzman und Al Feldstein fühlen sich immer noch der Qualität ihrer Produkte verpflichtet. Dabei gehen sie  andere Wege als der Rest der Industrie, was zu einem Distinktionsmerkmal von EC Comis wird. Es gelingt ihnen eine ganze Reihe von jungen und innovativen Zeichnern und Autoren unter dem EC-Label zu versammeln, und sie lassen ihnen ein Maß an kreativer Freiheit, die zu dieser Zeit in der Comic-Industrie ihres Gleichen sucht: Denn EC verzichtet auf einen House Style, den andere Verlage ihren Zeichnern vorschreiben, stattdessen werden die Zeichner ermutigt, ihren eigenen Stil zu verfolgen und zu entwickeln.  Als Ausdruck dafür, welchen Stellenwert man bei EC den Künstlern zumisst, werden bei jeder Ausgabe die Beteiligten explizit aufgelistet und den Zeichnern gestattet, ihre Werke zu signieren, was ebenfalls zu dieser Zeit absolut unüblich ist.

Das Ergebnis ist eine zeichnerische Qualität, die EC-Serien weit über den damaligen Durchschnitt hinaus hebt. Auch die Geschichten, von denen viele von Kurtzman und Feldstein selbst geschrieben werden, sind reflektierter als auf den ersten Blick erkennbar ist. Oft sind es hoch moralische Fabeln, in denen der Antagonist über seine eigenen Machenschaften stolpert und am Schluss seiner gerechten (und meist grausigen) Strafe zugeführt wird; das Twist-Ende wird zu einem Markenzeichen von EC. In den ScienceFiction-Reihen „Weird Science“ und Weird Fantasy“ finden sich viele Adaptionen von namhaften Genre-Autoren wie Ray Bradbury und H.P. Lovecraft. Die Crime-Comics aus „SuspenStories“ hingegen sind deutlich vom Film Noir inspiriert.

Auch sind viele Geschichten deutlich politisch motiviert und machen Lynchjustiz, Antisemitismus und Korruption zum Thema. Dabei zeigen sie ein Menschen- und Gesellschaftsbild, das weit moderner ist als zu Beginn der 50er üblich. Viel zitiertes Beispiel hierfür ist die Geschichte „Judgement Day“ aus „Weird Science“ : Ein Astronaut besucht als Abgesandter einer  intergalaktischen Zivilisation einen von Robotern bewohnten Planeten, um zu prüfen, ob diese dazu bereit sind, in dieser Zivilisation aufgenommen zu werden. Die Roboter aber leben in einer Zweiklassen-Gesellschaft, dessen Unterscheidung allein auf der Farbgebung beruht; der Astronaut entscheidet, dass sie noch zu barbarisch sind um aufgenommen zu werden. Erst auf dem Rückflug im Raumschiff nimmt der Astronaut den Helm ab und der Leser erkennt, dass dieser ein Schwarzer ist.

All dies macht EC Comics zum ersten Verlag in der Geschichte des Mediums, dessen Comics sich deutlich eher an ein erwachsenes Publikum als an Heranwachsende richten.

Comics und Rock’n’Roll

Zwischen 1950 und 1954 erlebt der Verlag eine beispiellose Erfolgsstory. Wenn wir jetzt noch einmal über einen Film fabulieren, dann dürfte auch dieser Aufstieg einiges hergeben: Eine Gruppe junger, unkonventioneller Zeichner und Schreiber, die ihren Erfolg unter den Fittichen des Exzentrikers Gaines ausleben dürfen. Die Atmosphäre in den Redaktionsräumen dürfte durchaus eine besondere gewesen sein. Darauf weisen zum Beispiel die launigen Editorials der einzelnen Ausgaben hin, die den Leser mit einem Augenzwinkern für seinen schlechten Geschmack verspotten, ein EC-Produkt erstanden zu  haben. Man war gleichzeitig Schmuddelkind und Paradiesvogel der Branche und mit ihren düsteren Stories trugen die EC-Kreativen mit dazu bei, das das naive Golden Age of Comics zu ende ging. Man darf ihnen hier gerne eine gewisse Rock’ n Roll-Attitüde unterstellen.

Doch natürlich bleibt es nicht beim eitlen Sonnenschein und der Wind wird rauer. Horror- und Crime-Comics geraten zunehmend in die Kritik, da sie in der öffentlichen Wahrnehmung hauptsächlich von Jugendlichen gelesen werden, auf die sie einen schädigenden Einfluss üben sollen.

Auftritt des Antagonisten: Dr. Fredric Wertham; ein humorloser alter Knochen, der moderne Medien wie Fernsehen für Teufelszeug und Gewaltdarstellungen für einen der Hauptauslöser für ausufernde Jugendkriminalität hält. Sein persönlicher Kreuzzug richtet sich dabei immer  mehr gegen die Comic-Industrie. 1954 erscheint sein Buch „Seduction of the Innocent“, das mit großer Aufmerksamkeit aufgenommen wird, und die Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber Comics sehr zum Negativen hin beeinflusst. Viele der auch heute noch vorhandenen Vorurteile gegenüber dem Medium sind auf diese Zeit und Werthams Buch zurückzuführen.

Es dauert nicht lange und auch die Behörden fangen an, sich für Comics zu interessieren. Denn es ist die Zeit des McCarthyismus, in der das Misstrauen groß ist gegenüber allem, was den American Way of Life korrumpieren könnte, und es für viele Bereiche eine entsprechende Untersuchungskommission gibt.

EC Comics bieten mit ihrem Programm dabei besonders viele Angriffsflächen und stehen schnell im Kreuzfeuer der Kritik von Medien und Öffentlichkeit. Schließlich wird William Gaines  vor das „Senate Sub-Committee on juvenile Deliquency“ geladen, und das ist der Moment, in der unser Film zum Gerichtsdrama wird.

Allein gegen alle

Gaines tritt vor der Kommission bemerkenswert selbstbewusst auf, und verteidigt seine Publikationen gegen die vorhandenen Vorurteile. So beruft er sich vor allem darauf, nach dem guten Geschmack zu entscheiden, was EC veröffentlicht und was nicht. Der Vorsitzende  der Kommission, Estes Kefauver, zeigt daraufhin das Cover eines EC-Comics, auf dem ein Mann eine blutige Axt in der einen, und einen abgeschlagenen Kopf in der anderen hält und fragt Gaines, ob er das für guten Geschmack halten würde.

Gaines Antwort: Ja, für einen Horrorcomic schon. Schlechter Geschmack wäre es, wenn er den Kopf ein wenig höher halten würde, so dass man das tropfende Blut sehen würde.

Gaines`s reueloses Verhalten macht ihn für Kritiker in den Medien schnell zur Symbolfigur für die angebliche unmoralische Haltung in der Industrie, was auch der Verlag bald selbst zu spüren bekommt. Als Konsequenz  aus der Kritik verordnet sich die Comic-Branche selbst den „Comics Code“, was einer Selbstzensur gleich kommt. Viele der Beschränkungen sind implizit gegen das Programm von EC gerichtet. In allen Veröffentlichungen, die sich dem Code unterwerfen, sind Darstellungen von Gewalt, Blut oder Sexualität von nun an tabu. Worte wie „Horror“, „Terror“ oder „Weird“ dürfen nicht länger in Magazintiteln genannt werden.

Gaines ist ein heftiger Gegner dieser Zensur und weigert sich zunächst, mit EC Comics dem Code beizutreten. Schon bald sieht er sich jedoch dazu gezwungen, da sich die Verkäufer weigern Comics abzunehmen, die nicht das Zeichen des Codes auf dem Cover tragen.

Das ist der Beginn des Niedergangs von EC Comics, denn der Code zieht den Geschichten die Zähne (Bei„Judgement Day z.B. wird gefordert, den schwarzen Astronauten herauszunehmen). Auch jetzt noch ist Gaines aufmüpfig und bietet den Verantwortlichen bei jeder Gelegenheit Widerstand (er droht, wenn „Judgement Day“ nicht in der Ursprungsversion erscheinen könne, würde er publik machen wieso nicht) trotzdem kann er nicht verhindern, dass die Verkaufszahlen in den Keller rauschen. Nur ein Jahr nach Einführung des Comic Codes ist EC gezwungen sämtliche Comicreihen einzustellen, der Verlag steht kurz vor dem Bankrott.  Es scheint, als müsse Gaines sich geschlagen geben.

Aber nein, er gibt noch nicht auf. Zusammen mit Al Feldstein konzentriert er sich  nun auf eine einzige Veröffentlichung, mit der sie einige Zeit zuvor vom Comic- zum Magazinformat übergegangen sind, die daher nicht unter die restriktiven Beschränkungen des Codes fällt. Der Titel dieses Magazins: MAD.

Und wie bekannt sein dürfte, erscheint dieses Magazin auch heute noch. Am Ende gibt es also doch ein Happy End.

Eine Geschichte von vielen

Wie man sieht, hat die Geschichte von William Gaines durchaus den Stoff aus dem in Hollywood Biopics gemacht werden. Dabei drängt sich eine ganz konkrete Assoziation auf, nämlich die zu Larry Flynt, der bereits 1998 mit einer filmischen Verewigung gewürdigt wurde.

Hier wie dort haben wir einen Verleger bzw. Herausgeber, der aus der „Schmuddel-Ecke“, heraus pragmatische Entscheidungen trifft und damit Erfolg hat. Als die Sache größer wird, zieht er die Aufmerksamkeit des konservativ-verstockten Amerikas auf sich, und gerät in die Mühlen der  Justiz, die ihm vorwirft, Amerikas Kinder zu verderben. Aber anstatt klein beizugeben nimmt er den Kampf auf und wird dabei mehr zufällig und aus eigenem Interesse zu einem Aktivisten gegen Zensur und für  Meinungsfreiheit.

Ein Thema, das vor allem auch vor dem Zeitkolorit des Beginns der 1950er und des Antikommunismus besonders Sinn macht. Auch ist es eine hervorragende Gelegenheit für einen Meta-Comicfilm, einem Film über das Comicmachen, um einmal die Geschichten derjenigen zu erforschen, die sich die bunten Bildergeschichten ausgedacht haben, die heute praktisch monatlich ins Kino finden.

Natürlich deckt diese Geschichte, wie die meisten Biopics, nicht das ganze Bild ab. Dass Fredric Wertham ein humorloser Knochen war, ist durchaus interpretationswürdig. Nicht erwähnt haben wir bisher nämlich, dass seine Kritik zu großen Teilen darin bestand, dass in Comics vor allem Anzeigen zu Dingen wie Luftgewehren und Messern geschaltet waren. Auch war er nicht nur ein Gegner von Horror-Comics, sondern auch der Rassentrennung, und seine Schriften zu dem Thema spielten eine entscheidende Rolle in der Abschaffung derselben, was ihn als „Figur“ um einiges ambivalenter macht.

Und dann wären natürlich noch die Jahrzehnte, die Gaines als Herausgeber von MAD verbrachte, aus denen es nicht weniger erzählenswerte Geschichten zu vermerken gibt. Zum Beispiel, dass er möglicherweise durchaus Schlüsse aus Werthams Vorwürfen gezogen haben könnte, denn gegen Ende der Fünfziger verbannte er die Werbung aus dem MAD Magazin, und hielt daran fest, oft auch gegen den Widerstand seines Chefredakteurs. Der Grund dafür war, dass er „sich nicht über Coca-Cola lustig machen könne, wenn er gleichzeitig Werbung für Pepsi schalten würde.“ Dies zeigt wieder den hohen Anspruch, den er an Satire und damit an sein Produkt anlegte, und dass er ein Mann mit Prinzipien war.

Auch sonst gibt es jede Menge Anekdoten, die ihn als exzentrischen Kauz zeichnen, und die wieder einen ganz anderen Film ergeben würden. Welchen Film John Landis  aus dem Stoff machen wird, darauf darf man durchaus gespannt sein.