Infinite Jest, Unendlicher Spaß

Der Autor, das unbekannte Wesen mit den andererseits hinlänglich bekannten Wesenszügen.

Alte Dichterfürsten bargen stets ein Geheimnis. Die Entschlüsslung von Werk und Leben hielt Generationen von Literaturwissenschaftlern in Brot und Lohn. Wenn man heute Autor ist – und berühmt –, dann ist sofort alles klar, Geheimnisse ade. Der Digitalisierung und dem Internet sei Dank.

David Foster Wallace ist so ein Fall. Seine nachgelassenen Manuskripte, seine Papiere, seine Bibliothek: Alles wandert in Universitäts-Archive wird augenblicklich katalogisiert, digitalisiert und als Übersicht im Internet zur Verfügung gestellt. Und kurz nachdem der Autor das Zeitliche gesegnet hat, kennt man schon alle seine Geheimnise, kann alles für die Entschlüsselung seines Werkes nachlesen. Ein paar Beispiele:

Die nachgelassenen Papiere

Eine Übersicht über seine nachgelassenen Papiere kann man hier sehen. Wie berichtet hat das Harry Ransom Center der Universität Texas in Austin die Papiere erworben und wird mit diesem Archiv für die David-Foster-Wallace-Forschung Gold wert sein. Wo früher alles Mögliche auf Dachböden und in Kellern verschwand, um unter Umständen erst Jahrzehnte später aufgefunden zu werden, reagieren die Kulturinstitute heute zügig. Die Unterlagen sind datiert auf den Zeitraum zwischen 1971 und 2008, befinden sich in 34 Dokument-Boxen sowie in acht überformatigen Mappen.

Die nachgelassene Bibliothek von David Foster Wallace

Über die 306 Bände der Privat-Bibliothek von David Foster Wallace im Harry Ransom Center hatte ich schon geschrieben. Hier ist die Liste der Bücher mit weiteren bibliografischen Angaben zu sehen. David Foster Wallace hatte die Marotte, die Bücher, die er las, mit handschriftlichen Kommentaren zu versehen. Es sind also nicht nur die Bücher, die er gelesen hat, hier versammelt, sondern auch viele, die seine Bemerkungen enthalten und damit einen lebendigen Aufschluß über seine Gedankenwelt geben.

Werkverzeichnis der Veröffentlichungen von David Foster Wallace

Das Pomona College in Claremont, Kalifornien, an dem David Foster Wallace gelehrt hatte, stellt ein Wiki zur Verfügung, in dem aufgelistet ist, was der Autor publiziert hat – nicht nur Romane und Kurzgeschichtensammlungen sondern jeder noch so kleine Zeitschriftenbeitrag. Eine herrliche Quelle für Interessierte.

Die Presse entdeckt die Archive

Da ein Autor, der verstorben ist, immer eine Nachricht wert ist, gerade auch, wenn er sich selbst umgebracht hat, zeigt auch die Presse an den trockenen Aktivitäten des Archivierens Interesse. Nachdem die Habseligkeiten des Autors also im Archiv verschwunden sind, hat sich Seth Colter Walls von Newsweek auf den Weg gemacht, etwas herumgestöbert und darüber geschrieben. Hier ist das zu lesen. Und hier ist ein Artikel über die Newsweek-Berichte zu lesen. (Analog zum Peter Gabriel-Song „Digging in the Dirt“ ist der Artikel „Digging into the David Foster Wallace archive“ überschrieben.

Besinnliches zum Schluß

Ein kurzer Hinweis auf einen Artikel über „Infinite Jest“/„Unendlicher Spaß“, der kritisch hinterfragt, wer das Buch – oder ähnlich komplexe Bücher – überhaupt vollständig gelesen hat. Das macht etwas nachdenklich: Alle reden über etwas, das unter Umständen kaum einer kennt. (So ähnlich wie auf der politischen Ebene als es um das Buch von Thilo Sarazin ging und viele, die in Talkshows aufgetreten waren, um darüber zu reden, zugeben mußten es nicht gelesen zu haben, sondern nur die Thesen-Zusammenfassung in den Medien rezipiert hatten.) So schließt sich der Kreis: Vielleicht bleibt große Literatur manchmal doch ein Geheimnis, weil man zwar alles über den Autor weiß aber nichts über das Buch, weil es keiner gelesen hat.