Francis Bacon's Deformationen.

Vorgestern wurde das Triptychon „Three Studies of Lician Freud“ von Francis Bacon für 142,4 Millionen Dollar (etwa 106 Millionen Euro) beim New Yorker Kunstversteigerer „Christie’s“ von einem unbekannten Bieter ersteigert. Damit wird Edvard Munch’s „Der Schrei“ mit 120 Millionen Dollar Auktionsinvestment in 2012 als teuerstes Bild der Welt abgelöst. Gleichzeitig ist Gerhard Richter nicht mehr der teuerste lebende Künstler der Welt. Er wurde in derselben Auktion von Pop-Artist Jeff Koons enttront.

Man könnte meinen, dass das Kapital mit solchen Käufen die Kunst zur Hure gemacht und sie endgültig in die Knie gezwungen hat. Vielleicht ist aber auch genau das Gegenteil der Fall – eine Frage der Wahrnehmung. Tatsächlich hat die Kunst nie endhültiger gesiegt als in diesem Fall, dem Fall des teuersten Kunstwerkes aller Zeiten. Denn das schöpferische Chaos der Kunst hat die rational fundierte Zahlenordnung des Kapitlismus damit ad absurdum geführt.

Ein weiteres Triptychon: Picasso, Kafka, van Gogh

Das dreiteilige Bilderessemble „Three Studies of Lician Freud“ aus dem Jahr 1969 zeigt verschieden physiognomie-deformierende Ansichten des portraitierten Künstlerkollegen Lucian Freud. Diese malerische Deformation des Portraitierten hat Methode. Denn Künstler sind ja seltsame Menschen. Sie leben in ihren kaum Wohnung zu nennenden Farbklecksstuben, in totaler Unordnung und chaotischen Zuständen. Sie sind unberechenbare Außenseiter, unstet, anarchistisch, der Stachel im Fleisch jeder Ordnung. Sie schneiden sich ihre Ohren ab (van Gogh), messen manisch ihre Penislängen (Wortkünstler Strindberg), wollen ihren Vater umbringen (Wortakrobat Kafka) oder deformieren das menschliche Antlitz bis zur Unkenntlichkeit (Picasso).

Ölige Hydra Kunst: Jede Festlegung fluscht einem durch die Hände

Es gibt praktisch nichts in der Kunst als Unnützer produzierender Tätigkeit, das etwas mit Lebenstüchtigkeit zu tun hätte, mit einem im weitesten Sinne vorhandenen Realitätsbezug oder einer entfernten Bodenständigkeit. Kunst ist nutz- und absichtslos. Warum sollte jemand dafür etwas bezahlen? Aber halt. Natürlich sind das dümmliche Allgemeinplätze, denn es gibt alles: soziale und politische Kunst, rationale Konzeptkunst – wer weiß, bestimmt sind selbst Banker schon zu Künstlern mutiert. Also lässt sich allgemein gar nichts über die Absichten und inhaltlichen Ausrichtungen von Kunst sagen. Denn die sind vielfältig und so unterschiedlich wie 8 Milliarden verschiedene Leben. Und somit hätten wir nach Josef-Beuys‘ Kunstbegriff „Jeder Mensch ist ein Künstler“ nahezu eine dimensionssprengende unendliche Anzahl von Protagonisten für diesen Artikel – was viel zu weit führen würde.

Kunstkauf als Vernunftsentscheidung

Und wenn man sich den Mechanismen des Kunstkaufes von der anderen – verlässlichen – Seite nähert? Wenn man die unfassbaren Künstler als Analyseobjekt mal außen vor lässt und die Verlässlichkeit des Geldes sucht? Was zeichnet eigentlich jene Menschen aus, die solche Bilder kaufen? Warum gibt jemand 100 Millionen Dollar für ein Bild aus?

Fortpflanzung anderer Art: Der Drang, sein Geld zu mehren

Wer Geld hat – vor allem: wer Geld und zugleich das Ziel hat, es zu mehren, damit es nicht versickert – sucht nach Möglichkeiten es anzulegen. Wo kann der potenzielle Investor es anlegen? Und zwar so, dass es sich entweder todsicher vermehrt oder die Möglichkeit der Vermehrung sehr spannend ist. Ein Spiel, dass lohnend erscheint. Die Spannung der Ungewissheit. Der Lohn unglaublicher Gewinne. Spielermentalitäten. Denn man sagt: Je höher das Risiko, desto exorbitanter die Gewinnsteigerungsmöglichkeiten, ein Alles-oder-nichts-Prinzip. Bleiben wir aber gedanklich zunächst beim langweilig-seriösen Weg. Ich lege mein Geld in Unternehmensaktien an, weil ich denke, das Unternehmen kann mittel- oder langfristig seinen Wert steigern. Oder ich lege es in Immobilien an, setze auf Handels-Güter wie Fleisch, Bohnen oder Kartoffeln, indem ich darauf wette, dass der Markt zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt zum Beispiel aufgrund einer Naturkatastrophe, eines Krieges oder einer sonstigen Ressourcenverknappung plötzlich besonders viel für so ein Nahrungsmittel zahlt. Die Differenz zwischen meinem niedrigen Einkaufspreis und dem plötzlich hochschnellenden Verkaufspreis kann mich reich machen. Aber dieser kurze Moment – auch als Kick – ist schnell vorbei. (Bei der Auktion für ein Kunstwerk kann der Vorgang des Ersteigerns selbst spannend wie ein Krimi sein.)

Bacon oder Schweinebauch: Vom richtigen Investieren

Ich investiere, um länger etwas von meinem Investment zu haben, also in eine exklusive Ferienwohnsiedlung. Ich beteilige mich an den Erschliessungs- und Baukosten und gehe davon aus, dass durch die Vermietung mein Geld recht schnell wieder zurück fliesst und ich danach jeden Monat einen satten Gewinn einstreichen kann. Man hat von solchen Investments öfter gehört, sehr oft, dass sie gescheitert sind, weil die angesetzten Mietpreise nicht realisiert werden konnten bzw. ein Vollvermietung nicht gegeben war. Ob die Erwartungen bei Warentermingeschäften mit Schweinebäuchen oder Mietwohnungen in Erfüllung gehen, das lässt sich nicht 100%ig sagen. Das Wesentliche ist aber: Wenn ich ein Experte bin und vorher genaustens analysiere, ob die Gewinnerwartungen realistisch eintreten können, wenn ich also tendenziell auf „Nummer Sicher“ gehen will, dann erübrigen sich die meisten Investments von selbst, weil sie zu unsicher wären. Aber wenn ich es drauf ankommen lasse und voll ins Risiko gehe, kann ich mein ganzes Geld verlieren oder es verdoppeln. Denn manch hochriskante Gelegenheit blitzt nur einen ganz kurzen Augenblick auf. Entweder greife ich zum richtigen Zeitpunkt zu oder nicht.

Film-Investment-Fonds: Die Kunst der Geldregie

Auch von Kunst- oder Medieninvestments kennt man solche Geschichten. Medieninvestments? Ja, tatsächlich. Filme z.B. werden über Fonds vorfinanziert. Es werden der bekannte Produzent, der geniale Regisseur engagiert und der berühmte Hollywoodstar verpflichtet, um das Risiko zu minimieren, dass der Film ein Flop wird – und am Ende überzieht das Filmteam das Budget gnadenlos, alles läuft aus dem Ruder und das Unheil nimmt seiner Lauf. So geschehen z.B. bei dem Western „Heaven’s Gate“ von Michael Cimino, der mit seinem Vorgänger The Deer Hunter/Die durch die Hölle gehen“ einen Film geschaffen hatte, der so sehr für Aufsehen gesorgt hatte und mit 49 Millionen Dollar US-Einspielergebnis bei 15 Millionen Dollar Kosten auch ein kommerzieller Erfolg war, dass danach für weitere Projekte die Studiotüren offen standen – zumal der Film für neun Oscars nominiert war und fünf davon bekam. „The Deer Hunter“ war tatschlich einer der besten Filme aller Zeiten und auch „Heaven’s Gate“ war kein schlechter Film, wohl aber einer, der nicht unbedingt für ein Massenpublikum geeignet war. Der Film stürzte sein Studio ins Verderben und die Investoren guckten in die Röhre.

Glück im Spiel, Pech bei der Kunst?

Garantiert haben vorher jene Leute, die das Geld für das Filmprojekt beschaffen mussten, „Heaven’s Gate“ als totsicheres Investment angepriesen. Wer so ein Risiko nicht möchte, kann in totsichere Papiere wie Staatsanleihen investieren, bekommt dafür aber eine niedrige Verzinsung. Hohes Risiko = hohe mögliche Rendite, geringes Risiko = geringe Rendite. Das ist nachvollziehbar und klingt vernünftig. Denn in unsichere Projekte will kaum jemand investieren, deshalb muss man die Investoren mit einer hohen Renditen locken.

Die Kunst der Verknappung: Wenig Bacon, viel Geld

Dasselbe Prinzip greift auch für den Kunstmarkt: die ganz großen Künstler, die anerkannten Klassiker, mögen eine sichere Bank sein. Und es gibt oft Galeristen, die raten ihrer Klientel zum Erwerb von Kunst, die bald ganz stark im Kommen sei und ihren Preis z.B. verzehnfachen könnte. Allein, eine Garantie dafür kann niemand geben. Francis Bacon hatte in seinem Leben etwa 600 Bilder gemalt, von denen 4oo theroretisch auf dem Markt sein könnten, während 200 in Museen hängen und nicht verfügbar sind, sofern sie nicht gestolen werden. Eine Verknappung, die mit zu dem märchenhaften Preis im aktuellen Fall beigetragen hat. Es mag auch zu einem gewissen Teil Liebhaberei dahinter stecken, wenn ein Investor soviel Geld ausgibt. Was aber, wenn man es nur aus dem Blickwinkel der Geldvermehrung sieht?

Dimensionssprengend: Unbezahlbare Kunst

Dann sieht die Tätigkeit des Investierens plötzlich etwas anders aus. Denn in welches einzelne Produkt fernab des Kunstmarktes könnte man investieren? Etwas, das höchst individuell ist, ein einmaliges Einzelstück oder wie hier ein kleines Einzelstückensemble, eine Investition in eine ästhetische Einmaligkeit, in ein Seherlebnis. Schnöde Fußballwetten oder Pferdewetten, die sich auf ein einziges Rennen oder Spiel beziehen, lassen jemanden in etwas investieren, das danach nicht mehr existiert, also keine bleibende Dauerwirkung entfaltet. Und es gibt ja sogar Kunstwerke wie Michelangelo’s „Pieta“, die praktisch soviel wert sind, dass sie unbezahlbar wären. Man bedenke: Etwas ist so viel wert, dass es mit Geld nicht zu bezahlen wäre. Wo gibt es das sonst? Außer bei der Kunst?

Lob des Stundenlohnes: 691,5 Millionen in 2 Stunden

Man stelle sich zuletzt, um im Bild zu bleiben, einen rational nachdenkenden Investoren vor, der händeringend ein Investment sucht, das sich lohnt, der rechnet und abwägt, der Märkte und ihre Entwicklungen beobachtet, Unternehmen, Dienstleistungen, Produkte – und dann überlegt, was lohnend wäre. Und dann landet dieser Investor, der genügend Geld zur Verfügung hat bei einem Kunstwerk, für das er z.B. 58,4 Millionen Dollar bezahlt, wie für den „Balloon Dog“ von Jeff Koons, der damit der teuerste lebende Künstler wurde. Vorher war das Gerhard Richter, der für „Domplatz, Mailand“ 29 Millionen Euro erzielt hatte, umgerechnet etwa 20 Millionen Dollar weniger als Koons. Andy Warhol’s „Coca Cola“ erzielte 57,3 Millionen Dollar. Christie’s erzielte am 12. November 2013 innerhalb von zwei Stunden mit dem Verkauf von 63 Objekten insgesamt 691,5 Millionen Dollar.

Trinkgeld inbegriffen: 142 Millionen Dollar minus 400 Dollar

Jetzt könnte man meinen, dass manch ein Künstler, der sein verpfuschtes Leben in seiner Kunst aufzufangen trachtete, wie bei Francias Bacon vielleicht der Fall, bitter auflachen würde, könnte er sehen, wie seine Kunst auf die Finanzmärkte gezerrt wird. Man könnte auch mit Fug und Recht darüber lamentieren, wie schrecklich es ist, dass dem Leben abgerungene Kunst, etwas letztlich Wahrhaftes zum Objekt von Spekulanten wird. Andererseits: Nichts wird so teuer bezalt wie Kunst. Die Kunst hat gewonnen. Es werden Gebäude, Landschaften, Menschen, Produkte, Tiere, Unternehmen, Gold und Diamanten, Fußballstars, Fußballvereine, Raketen, Waffen oder Drogen gekauft und verkauft. Aber ausgerechnet jenes Spekulationsobjekt, das im besten Fall dem Leben warhaftig abgerungen wurde, ist auch an den Finanzmärkten als Einzelstück am Teuersten. Weil es nur einmal auf der Welt vorhanden ist, weil es einmalig und im Falle Bacon’s sogar trotzig ist. Das Gegenteil von kühler Kalkulation, das Gegenteil von Zahlen und Buchhaltung und Rationalität muss teurer bezahlt werden als alles, was sonst zählt. Etwas Leinwand, etwas Farbe, Materialwert vielleicht 400 Dollar. Das Wertvolle ist das Ideelle, hier die von Picasso beeinflusste Sprengung von Wahrnehmungsgrenzen. 142 Millionen Dollar minus 400 Dollar. Für Bacon ein fabelhaftes Investment, würde er noch leben.

Alle aussteigen oder einsteigen: Endstation Kunst

Dass das Geld der Welt sein Heil in mitunter subversiver Kunst sucht, dass sie diese Kunst mit ihren Megasummen adelt, das klingt im Rahmen des Kapitalismus fast wie eine Kapitulation des Geldes vor dem Idealismus. Die letzte Sicherheit der Investoren liegt in diesem und anderen Fällen in einem zutiefst unkalkulierbaren Stückgut, etwas, was im eigentlichen Sinne keinen materiellen Wert hat und auch keinen Nutzwert, etwas, hätte der Künstler zuviel an Geld gedacht, nie zustande gekommen wäre. Was passiert mit dem Geldmenschen, der der Kunst zu lange ins Antlitz schaut?