Seit jeher wird über zwei Arten von Kultur gesprochen: Über hochstehende Kultur, gekennzeichnet durch ein „E“, stellvertretend für den Kuss der „ernst(haft)en“ Muse, und über „unterhaltende“ Kultur, gekennzeichnet durch ein „U“. Man liest dann in Beiträgen immer nur von „E & U“, wie man ähnlich kurz immer wieder wie selbstverständlich über die „K.u.K“-Zeit in Österreich liest und nie weiß, was eigentlich gemeint ist.

Letzteres bedeutet übrigens „kaiserlich und königlich“. Es ging darum, die Zusammenführung des kaiserlichen Österreich und des königlichen Ungarn 1867 in Kurzform zu verbalisieren. Also sind „E & U“ und „k.u.k.“ Abkürzungen für Unterschiedliches oder Gegensätzliches, das dennoch zusammengehört.

Zwei Arten von Unterhaltung

Immer wieder kommt es zu Diskussionen darüber, ob eine anspruchsvolle kulturelle Leistung auch unterhaltsam sein soll oder zumindest sein kann. Bezüglich der unterhaltenden Kultur oder Kunst sind zwei Unterscheidungen möglich:

  • Unterforderung: Unterhaltung, die, wie bei der Trivialliteratur, nur darauf aus ist, dem Rezipienten bei seiner Flucht aus der Wirklichkeit behilflich zu sein.
  • Überforderung: Unterhaltung, die nicht verdummen oder zu flüchten helfen will, sondern die Intelligenz herausfordert und etwa unterhaltend weiterführt oder weiterbildet.

Wirklichkeitsflucht oder Herausforderung

Ist diese Unterscheidung möglich? Kann man aus der Wirklichkeit überhaupt flüchten, wenn nicht immer klar zu fassen ist, was diese Wirklichkeit ist? Ein praxisnäheres Problem ergibt sich aber dadurch. dass auch anspruchsvolle Kultur, einen aus der Wirklichkeit fallen lassen kann. Taucht man nicht auch bei großer Literatur ab in eine vom Autor geschaffene Wirklichkeit? Kann man sich in einer Ausstellung von Werken von Vincent Van Gogh nicht auch in dessen Wahrnehmungswelt verlieren? Zwei Beispiele, die zeigen, dass es Grenzfälle zwischen E&U gibt:

  • Unterhaltung, die ernst macht: Der hier vielfach gebührlich gewürdigte Musiker Nile Rodgers und mit ihm sein Partner Bernhard Edwards haben mit ihrer Band „Chic“ Musik für die Discos und die Hitparaden geschaffen. In ihrer Kooperation am Ende der 1970er-Jahre und schwerpunktmäßig bis in die 1980er hinein waren beide der Inbegriff kommerzieller Musik. Andererseits ist die Chic-Musik vom Jazz beeinflusst und wird von Musikliebhabern goutiert. Diese Musik existiert somit auf der Grenze zwischen E und U. Sie ist eindeutig kommerziell aber die beiden Initiatoren sind anspruchsvoll und ambitioniert.
  • Kunst, die unterhaltsam sein kann: Ein Beispiel aus der Kunst: Andy Warhol war zugleich elitär als auch populär. Er hat Kunst mit Grafik-Design vermischt, hat die Pop-Art geschaffen, war künstlerisch meist zugänglich, hat aber andererseits den Kunstbegriff nachhaltig beeinflusst. Er hat Alltagskultur oder Alltagsgegenstände zur Kunst erhoben. Die Rezeption seiner Werke kann oberflächlich stattfinden oder in Bezug auf ihren Aussagegehalt weitergehend und tiefgreifend.

Unterhaltsam für den Laien und den Experten

Kann man James Joyces „Ulysses“ oder „Finnegans Weg“ als Unterhaltung einstufen, bezogen auf einen Leser, der sich etwa an den extravaganten Sprachspielen ergötzt? Kann ein Mathematiker die Arbeit mit für den Laien zu komplizierten Formeln als beglückend und unterhaltsam empfinden? Beide können das. Was für den Nicht-Fachmann eine schwierige Herausforderung sein könnte, könnte für den Experten auf der Ebene des genüsslichen Gedankenspiels unterhaltsam sein. Es geht also bei der Einschätzung, was wie unterhaltend wirkt, um eine Bezüglichkeit im Hinblick auf einen Verständnisrahmen.

Ernsthafte Unterhaltung und unterhaltende Kunst

Konzeptionell in Frage gestellt, bebildern die beiden eingangs geschilderten Beispiele, dass anspruchsvoll komponierte, gespielte, arrangierte, produzierte und intonierte Discomusik nicht nur geläufige popmusikalische Unterhaltung sein muss. Und ein Künstler, der sich popkulturellen Phänomenen widmet, kann Ernsthaftigkeit mit Unterhaltendem durchmischen – aber wo verläuft die Trennlinie? Sie müsste für jeden Einzelfall neu bestimmt werden.

Unterforderung und Überforderung

Doch das sind besondere Fälle, Ausnahmefälle, wenn sie auch zahlreicher geworden sind. Sie sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass dennoch die Polarität zwischen einem künstlerischen Konzept, das philosophisch-gedanklich fundiert ist, herausfordert und schließlich tendenziell überfordert, und einer oberflächlichen Unterhaltung, die unterfordern soll, besteht.

  • Unterhaltung will bequem sein und nicht anecken, sie will Wohlbefinden im Gewohnten erzeugen. Wer sich so entspannt, flüchtet in eine Welt der Behaglichkeit, eine Welt ohne Probleme, die nur begrenzt Neues bieten kann und einen geistigen Stillstand repräsentiert.
  • Ernsthafte Kunst will unbequem sein, sie will Neues bieten, oft ist ein konstruktives Unwohlsein ähnlich wie im politischen Theater mit eingeplant. Neue Erfahrungen wie bei den Happenings der Performance-Künstler Marina Abramović und Ulay können erschüttern, nicht gelernte Sehgewohnheiten verstören.

Diese Eigenschaften sind ideal-typisch und polar dramatisiert dargestellt. Meist sind diese Polaritäten nicht in Reinkultur vorhanden. Zugleich ist eine Fokussierung auf die reinen Ausprägungen rigoros und nicht wirklichkeitsnah, zum Beispiel weil es nicht der Anspruch jeder Kunst und jeder Kunstgattung ist, aufzuwecken oder zu verstören.