Inker Joe Sinnott, der bester Superhelden-Tuscher

Joe Sinnott, Jahrgang 1926, war einer jener legendären Tuschezeichner bei den Marvel-Comics, der sich mehr als Handwerker denn als Künstler verstand und vor allem die Comics von Jack Kirby prägend beeinflusste. Als der Comic-Verlag Marvel Enterprises mit Figuren wie Spiderman, Fantastic Four, Hulk, Iron Man, Captain America, Thor, Avengers oder X-Men in den 1960er-Jahren in Amerika so etwas wie ein Pop-Kultur-Phänomen geworden war, konnte man sich die kreativen Rahmenbedingungen eigentlich gar nicht recht vorstellen. Schöpfer bzw. Ideengeber fast aller dieser und weiterer Figuren waren Stan Lee als Texter und Jack Kirby als Zeichner. Stan Lee ist bis zum heutigen Tage das alte Verkaufsgenie geblieben und Jack Kirby hatte eine visuelle Phantasie ohne gleichen.

Die Trennung von Stan Lee und Jack Kirby

Man hatte sich damalig nicht im Guten getrennt. Kirby zog später von New York nach Los Angeles, um in der Filmbranche Fuß zu fassen. Mit Marvel ging es zwischenzeitlich finanziell bergab. Der ersehnte Neuanfang für den Verlag kam später mit neuen Ideen. Vor allem aber der Verkauf der Filmrechte für die großen Superhelden-Hollywoodfilme machte Marvel wieder attraktiv, sodass Disney den Superheldenverlag 2009 für 4 Milliarden US-Dollar erwarb. Kirbys Kinder sollten nach dessen Tod einen Prozess gegen Marvel anstrengen, weil sie erhofften, an den milliardenschweren Rechten an den Superheldenfiguren, die ihr Vater mit ersonnen hatte, partizipieren zu können – sie scheiterten aber vor Gericht.

Auf Jack Kirby folgt John Buscema als Vielzeichner

Am Übergang zwischen den 1960er- und 1970er-Jahren wurde jedenfalls der Nachfolger von Jack Kirby als Vielzeichner John Buscema. Die grafisch besten Geschichten beider Comic-Zeichner waren dabei von Joe Sinnott getuscht worden, der hier im Video seinen Zeichentisch und seine Arbeitsmaterialien vorstellt. In den 1960er-Jahren hatte Kirby seinen Stil ungemein dynamisiert und weiter vereinfacht. Auch Buscema suchte, um die Auftragsflut bewältigen zu können, nach klaren, vereinfachten Formen.

Joe Sinnott handhabt lange und kurze Striche

Joe Sinnott war als Bleistift-Vorzeichner nicht die erste Wahl aber er veredelte die Zeichnungen anderer kongenial, vor allem die der Fantastic Four-Hefte von Kirby und Buscema sowie auch die Buscema-Zeichnungen für die ersten Hefte des Silver Surfer und des späteren Thor mit Pinselstrichen für die ausladenden langen Striche, die stark moduliert waren, und mit der Feder für die dünneren Detailstriche. Er schuf so Werke höchster Prägnanz. Sinnott ist technisch nahezu perfekt, auch wenn sein Stil heute etwas altmodisch anmutet. Er kann aber als stilistisches Vorbild für Zeichner wie Dough Mahnke (Green Lantern) oder Dave Gibbons (Watchmen) gelten. Weder Kirby noch Buscema waren in einer Heftserie jemals besser als in dieser Phase zusammen mit Sinnott.

Jack Kirby und seine Dynamisierungen

Kirby brachte neben der Lebendigkeit seiner Entwürfe, einmalige Darstellungen seiner Phantasie-Maschinen und von Science-Fiction-Elementen mit ein. Er war zugleich Zeichner als auch Designer für Kostüme, phantastische Innenausstattungen und Dekors. Viel später, bei manchen Entwürfen für Filmausstattungen, konnte man sehen, dass Kirby vom Art Deco beeinflusst war, was sich in seinen Comicarbeiten in einer Ornamentik niederschlug, die sowohl archaiische Welten wie bei Thor flankierte als auch Sciene-Fiction-Welten und Fantasy-Abenteuer.

John Buscema und die Vereinfachung der Zeichnungen

Buscema war nach Burne Hogarth einer der wenigen kompetenten Zeichner für die menschliche Anatomie. Im Rückblick muss man froh sein, dass die Zeichner so überlastet waren und dadurch gezwungen worden waren, ihre Zeichnungen weiter zu vereinfachen. Sie konzentrierten sich auf außergewöhnliche Designs und Zeichnungen, die über eine gewisse Ökonomie der Mittel verfügten – mit nicht zu vielen Details, was zum Beispiel die Hintergründe anbelangte. Diese Art zu zeichnen, wirkte in ihrer Einfachheit. Sie schufen in ihren Comics spannend-dynamisierte Zeichnungen, denen Sinnott den letzten Schliff verlieh. Es war zufällig ein Team zusammen gekommen, das schnörkellos wunderbare Phantasiewelten schuf.

Ästhetischer Ansatz am Fließband

Der ästhetische Ansatz unter den Fließband-Produktionsbedingungen mutet heute wie ein Wunder an. Sinnott kann für seinen Anteil daran als Profituscher gar nicht genug gelobt werden, wird aber oft übersehen. Kirbys Bleistiftzeichnungen wirkten zum Beispiel unter den dicken Strichen von Tuscher Chic Stone etwas behäbiger oder wurden von Vince(nt) Colletta, der oft als Mann fürs Grobe einspringen musste, indem er über Nacht Termine rettete, nicht immer adäquat umgesetzt. Die recht grobe Kirby-Stilistik, die durch Überdeutlichkeit glänzt, verhält sich sowieso relativ robust gegenüber dem Tuschvorgang. Filigraner arbeitende Vorzeichner wie Neal Adams mussten mehr leiden.

Eine sichere Hand für visuelle Visionen

Später, als Kirby Marvel verlassen hatte und zu Konkurrent DC gewechselt war, hatte er viel mit Tuscher Mike Royer zusammen gearbeitet (bei Kamandi, Omac, New Gods usw.), der zwar detailreich und technisch ausgereift tuschte aber nicht die elegante Prägnanz von Sinnott erreichte. Buscema konnte sein zeichnerisches Level nicht halten und blieb lange Zeit weiter ein Vielzeichner, der sich aber nur noch selbst paraphrasierte und keine Impulse mehr setzen konnte. Er zeichnete viele Ausgaben von Conan, wobei sich sein Talent schnell verschlissen hatte. Sinnotts Zeichentisch im Video wirkt im Nachhinein gar nicht wie ein Relikt, sondern wie ein unspektakulärer Ort, an dem wie nebenbei Entwürfe umgesetzt wurden, die Comicgeschichte geschrieben haben – kühne visuelle Visionen, umgesetzt von einem Illustrationshandwerker, der eine ungewöhnlich sichere Hand hat, mit der er Tuschefeder und Pinsel führt.

Weitere Artikel zu Jack Kirby: