Altzitrone

Der Tod ist aus dem Blickwinkel des menschlichen Lebens ein Endpunkt. Selbst wenn man religiös ist bzw. an ein Leben nach dem Tod glaubt, gilt das in der Regel. Ist man doch seinen sozialen Zusammenhängen entrissen und aller Handlungsmöglichkeiten beraubt.

Dabei deutet sich der Niedergang von langer Hand an. Lediglich 10-15 Jahre lang, deren Kern etwa zwischen dem zweiten und dem dritten Lebensjahrzehnt liegt, kummulieren und überlagern sich Attraktivität, intellektuelle, sensorische, muskuläre und allgemein körperliche Leistungsfähigkeit und wirken verstärkend zusammen, wodurch der Wirkungsgrad des Individuums in dieser Zeitspanne optimal ist.

Abbau an Fähigkeiten vor dem „Endpunkt“ Tod

Danach vollzieht sich ein langsamer Verfall, wie es analog dazu vor allem bei Blütenpflanzen fast schon wie im Zeitraffer zu verfolgen ist. Ihren Endpunkt erreicht dieser Abbau an Fähigkeiten, Präsenz und Form im möglichen Tod an Altersschwäche.

Tod als Erneuerung von sozial-funktionalen Gemeinschaften

Betrachtet man funktional kooperative Gemeinschaften wie Zellverbände, leitet das Absterben einzelner Zellen im Gegenteil nicht das Ende des Verbundes ein, sondern dient dessen Erneuerung und damit langfristig gesehen deren Erhalt. Es sterben zum Beispiel funktionsbeeinträchtigte oder vergiftete Zellen ab. Ihr Tod schafft innerhalb eines Prozesses der Regeneration Platz für besser funktionierendere Zellen. Ähnlich kann man es für die menschliche Gemeinschaft ansehen – wenn der Tod für ein Wesen mit Bewusstsein nicht auch Trauer hervorrufen würde.

Der Tod innerhalb der Evolution als Übergang zum Neuen

Damit aber ist der Tod kein absoluter Endpunkt, sondern Teil des evolutionären Prozesses. Denn die neue Zelle kann veränderte DNS beherbergen – der neu geborene Mensch tut das garantiert – und ist bezogen auf den Gesamtzellverband eher als Neuanfang oder Übergang von alt zu neu zu verstehen.

Anpassung durch Absterben

Der fortwährende Tod einzelner Glieder einer Gemeinschaft ist ein Anpassungsprozess an neue Gegebenheiten. Ein unsterblicher Organismus könnte nur lange überleben, indem er sich fortwährend regenerieren würde. Die Regeneration jedoch ist jeweils der partielle Tod einzelner Bestandteile des Organismus. Hier zeigt sich wiederum, dass der Tod einen Anpassungsübergang schafft.

Innovation durch schnellen Generationswechsel

Dabei ist das einzelne Leben nie unnütz, sondern Glied innerhalb dieses Anpassungsprozesses, so wie auch der einzelne Tod ein wichtiger Übergangspunkt zu neu angepasstem Leben ist. Werden und Vergehen ist so betrachtet ein integrativer nicht voneinander zu trennender Prozess. Werden ist strukturell Innovation, basiert aber auf dem (Ab-)Sterben als regressivem Vorgang.

Ein Beispiel: Die Schabe als Überlebenskünstler

Es gab angesichts von bevorstehenden Atomkriegen die Aussage, dass Kakerlaken theoretisch die am ehesten überlebensfähige Spezies seien würden. Das deshalb, weil ihre Vermehrungs- und Fortpflanzungszyklen extrem kurz sind. Kurze Lebens- und Neuentstehungsintervalle jedoch, zumal von vielen Individuen, befördern eine hochgradige Anpassung auch an widrige Umstände. Dabei sollte das Überleben der Kakerlaken hier nicht als wissenschaftliche Aussage als vielmehr eine Metapher für den dialektischen Mechanismus, der durch Leben und Tod gebildet wird, verstanden werden.

Eigenschaftsveränderung durch Anpassung

Möglich ist ein Überleben unter erschwerten Umständen nur durch Eigenschaftsveränderung und Anpassung. Die Grundlage dafür sind bezogen auf das Erbgut kurze Innovationsintervalle. Der Tod als Punkt zwischen Ende und Neubeginn ist so integraler Bestandteil einer fruchtbaren Transformation.