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Methoden der Kunst: Durch Wegnehmen und Hinzufügen Bedeutungen erschaffen

Ein Gürtelreifetier

An der Bildhauerei hat mich immer fasziniert, dass man von einem rechteckigen Klotz etwas wegschlägt und das, was übrig bleibt, ergibt etwas, das man zeigen will. Eine Figur zum Beispiel. Man schlägt als klassischer Bildhauer also mit dem Hammer in der Hand von einem Material etwas weg, solange bis man die Form gefunden hat, die man gesucht hat.

„Eine Form finden“… Ein Maler macht es genau umgekehrt: er fügt etwas hinzu, Farbschicht um Farbschicht. Ein Zeichner fügt Strich an Strich. Auch ein Architekt wirkt konstruktiv: er baut etwas auf. All dem ist gemein, dass man auf der Suche nach etwas ist.

Vorzeichner und interpretierendem Zeichner

Es gibt bei den Comics, in erster Linie bei den amerikanischen, diese Arbeitsteilung: der entwerfende Zeichner zeichnet per Bleistift vor und ein ausführender Zeichner, der „Tuscher“ oder „Inker“ zeichnet die Bleistiftstriche in schwarzer Tusche nach. Er interpretiert damit die Bleistiftvorarbeit. Je nachdem, wer tuscht, fallen die endgültigen Zeichnungen ein und desselben Urheber-Vorzeichners denkbar unterschiedlich aus.

Ambitioniertes Zeichnen und industrielles Zeichnen

Manchmal wird eine Comicgeschichte von bis zu vier unterschiedlichen Tuschern bearbeitet, um Zeit zu sparen. Das war zum Beispiel bei den von Doug Mahnke vorgezeichneten „Green-Lantern“-Comic-Books der letzten Jahre öfter der Fall. Dementsprechend heterogen ist dann das Ergebnis. „Heterogen“ ist positiv umschrieben, tatsächlich ist das Ergebnis manchmal schrecklich uneinheitlich. Das grundlegende Problem ist die Arbeitsweise: jemand mit Ambitionen würde selbst tuschen. Im Tuschen erst würde er die Form finden und suchen, die zu ihm oder seiner zeichnerischen Vision passt. Da ginge es nicht, um einfaches Nachzeichnen der Bleistiftstriche, sondern es ginge ähnlich wie in der Bildhauerei um immer wieder neu zeichnen und wegradieren, um den Wandel der Formen bis hin zu seiner finalen Fixierung in der schwarzen Tusche.

Absichtslose Kunst in der kulturell-sozialen Ausdeutung

Ich habe Kunst immer ganz gerne als „absichtslos“ bezeichnet. Damit ist gemeint, dass etwas aus einem herauskommt, einfach so, ohne Auftrag, ohne Absicht. Kunst ist „Formsuche“. Wobei eine Form einem Inhalt entspricht. Das heisst, ich behaupte damit, dass nicht nur ein Inhalt eine Form kriegen kann sondern dass eine Form, die entsteht, automatisch auch einem Inhalt entspricht. Der Inhalt kann tiefschürfend und weitreichend sein oder flach, kurz greifend und oberflächlich – oder auch richtig oder falsch. Dennoch ist ein Inhalt da. Die Bewertung und Einordnung des Inhaltes ist eine kulturell-soziale Kategorie.

Die Suche nach Form und Inhalt in der Kunst

Welche Form sucht ein Künstler? Wem gibt er überhaupt eine Form? Wenn er einen Apfel malt, gibt er dann dem Apfel eine Form? Eigentlich nicht, anlässlich des Apfels als Motives versucht er seiner Wahrnehmung – also seiner Sicht der Welt – eine Form zu geben. Er nimmt etwas wahr, etwas inspiriert ihn, regt ihn an, und er schafft dafür eine zu seiner Wahrnehmung analoge Form. Dieser Form ist ein Motiv wie den Apfel zugeordnet. Weil der ihm etwas wert ist, ihm etwas bedeutet, das heisst ganz direkt, dass der Künstler den Apfel wahrgenommen hat und er für ihn eine Bedeutung hat. Worin die Bedeutung bestehen mag, ist ihm unter Umständen gar nicht klar. So gesehen ist die Manifestation dieser unbewussten Bedeutung in einem Kunstwerk ein Akt der Bewusstmachung und danach der Bewusstwerdung. Kunst mag so gesehen eine transformative Tätigkeit sein, bei der der Künstler seine Gefühle in eine der Ratio oder der Emotion beim später das Bild Betrachtenden erklärbare Form überführt.

Prozess oder spontane Momentaufnahme

Dabei gibt es zwei grundlegende Vorgehensweisen, der Form, die man anstrebt, nahezukommen: als Prozess oder als spontane Momentaufnahme. Beim prozesshaften Vorgehen liegt das Ergebnis noch lange nicht fest. Resultate werden verworfen oder immer wieder korrigiert, Bilder übermalt, bildhauerische Werke immer weiter ausgedünnt. Die Korrektur, der Neuanfang sind für das permanente Umwälzen die Triebfeder. Bei der spontanen Momentaufnahme wie beispielsweise bei der Skizze oder dem auf die Leinwand geworfenen Farbklecks erhält die spätere Interpretation einen ganz anderen Stellenwert. Die Bedeutungsschaffung erfolgt unter Umständen erst im Nachhinein.

Weitere Kunsttagebücher:

  1. Was ist Kunst? Und warum nicht?
  2. Als die Nacht aus dem Blickwinkel des Tages unterbelichtet wirkte
  3. Warum Eitelkeit zur Kunst gehört und doch ihr Untergang ist
  4. Ziellosigkeit als Grundlage assoziativer Prozesse
  5. Kopfkino oder zeigen und weglassen im anspruchsvollen Film
  6. Warum die Größe einer Zeichnung ihre Aussage verändert
  7. Wann Form ein Inhalt sein kann
  8. Was könnte das sein?
  9. Gedanken-Gefühls-Bilder innerhalb einer Formgenese
  10. Die Welt ist voller Möglichkeiten oder Zufall und Entscheidung in der Kunst
  11. Über das „Zuviel“
  12. Wiederholung als Formoptimierungs-Prozess
  13. Der assoziationsoffene Raum
  14. Kunst und technisch-handwerkliches Können: Warum es besser ist, nichts zu können
  15. Der Kunsst
  16. Was ist Kunst?
  17. Künstler-Selbstbild: Skizze eines zufallsgesteuerten Lebens ohne anarchistische Romantik
  18. Beliebigkeit als Kunstprinzip: Über die vermeintliche Sinnlosigkeit assoziativer Folgerichtigkeit
  19. Langlauf oder Kurzstrecke? Das Intervall in der Kunst
  20. Der Künstler: Ein Assoziationsautomat
  21. Zeichnen und die Macht des Zufalls
  22. Vorhersehbarkeit und Offensichtlichkeit – über die Langeweile in der Kunst
  23. Offenheit, Inspiration, Assoziation – über den Wert von Einflüssen in der Kunst
  24. Hinz- und Kurzgeschichte: Als der Unterhaltungskünstler den ernsthaften Künstler traf
  25. Über die metaphorische Schwangerschaft der Bilder
  26. Über das Vorläufige und das Endgültige in der Kunst
  27. Warum Kunst ein Virus ist
  28. Kreieren und wiederholen: Warum Kunst nicht kreativ ist
  29. Das Unverwechselbare in der Kunst als Ausdruck der eigenen Unfähigkeit
  30. Das Ungefähre als das nicht Greifbare
  31. Offenheit, Inspiration, Assoziation – über den Wert von Einflüssen in der Kunst
  32. Der blinde Fleck und die Kunst der Betrachtung
  33. Kompetenz und Versagen als sich selbst bedingende Gleichzeitigkeit
  34. Kunst als Selbstdialog
  35. Ordnung und Chaos als Polaritätskonzept künstlerischen Wirkens
  36. Die Überforderung
  37. Eindeutigkeit und Wahrnehmung in der Kunst
  38. Kunst als Sprache
  39. Der Mangel als Ansporn
  40. Bedeutung und Orientierung als Ziele der Kunst
  41. Selbstbild und Seins-Inszenierung
  42. Kunst als Chiffre der Notwendigkeit
  43. Kunst als fortgesetzter Traum
  44. Idealismus oder Materialismus – Geld oder Leben!?
  45. Die Maslow-Bedürfnis-Pyramide oder fühlen und durchleben in der Kunst
  46. Jenseits der Worte
  47. Wahrheit und Verdrängung
  48. Das Gefühl für die Dinge oder von der Schwierigkeit, Kunst zu definieren
  49. Zwischen Selbsttransformation und Fremdwahrnehmung
  50. Die Absolutheit der Ich-Perspektive
  51. Fehler machen als „Sesam-öffne-dich“
  52. Kunst und die Visualisierung des Nie-Gesehenen
  53. Jede Regel will gebrochen sein
  54. Die Intrinsik als Wesenszug
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