Glatzkopf

Manchmal oder öfters oder genau genommen immer sitze ich da mit irgendjemandem und der sagt: „Was ist los? Warum antwortest du mir nicht auf meine Frage?“

Warum antworte ich nicht? Warum nochmal? Ganz einfach: Weil ich in Gedanken bin. Bin ich tatsächlich in Gedanken? Nein, bin ich nicht.

Gefühlsausbrüche aus dem Antwortzentrum

Ich bin in einem Gefühlskokon. Ich sehe mein Gegenüber an und sehe nicht wirklich sie oder ihn, ich höre nichts mehr, das heißt, ich höre die Töne, sie dringen aber nicht durch zu meinem Antwortzentrum. Ich sehe mein Gegenüber in vereinfachten, dramatisierten und oft dynamisierten Formen. Meine Wahrnehmung verformt mein Gegenüber in meinem Kopf.

Physiognomie- und Körper-Verformung

Ich stelle mir die Person vor meinem geistigen Auge anders vor, als sie tatsächlich ist. Ich verlängere ihre Haare, lasse sie im Wachsen schwingen, ich verstärke die Wangenknochen, gebe der Nase eine andere Form, verkleinere die Ohren oder verstecke sie zum größten Teil unter den Haaren. Ich ziehe die Augenbrauen hoch, lasse auch sie mehr schwingen als vorher und lösche alle Details im Hintergrund der Person, die die Grundformen stören konnten. Ich krümme den Körper, lasse ihn Spannkraft ausstrahlen.

Kreiselnde Gedanken-Kraftschraube

Wo bin ich mit meinen Gedanken? Ich male Gedankenbilder. Gefühlsbilder. Das mache ich andauernd, ich verforme die Welt, passe sie einem Formempfinden an, das in mir ruht oder sich in mir wie ein mächtiger kreiselnder Dynamo dreht. „Warum antwortest du mir nicht? Wo bist du mit deinen Gedanken?“ Ich sehe hoch. „Och, nichts, nur so.“ Ich greife zur Kaffeetasse und bemerke ihre ovale Form, die mir so gut gefällt. Ich stelle sie mir anders vor, bauchiger, größer.

Formen-Visualität

Bevor man Bilder malt – ganz real auf Leinwand, auf Karton, auf Papier – hat man jahrelang im Geiste gemalt. Hat sich die Welt der Formen unterworfen und sie jener Form angepasst, die man mahlend in sich spürt. Sie ist ein algorithmisches nicht greifbares Etwas. Ein Masterplan der Wahrnehmung, zwischen Gefühl, Verstand und Manualität. Nur die Manifestation dieses mühlernen Mahlrades mittels der Hände bringt einem diese Form näher. Im Malen und Zeichnen zeigt man sich selbst diese Form. „Warum bist du so still?“ Weil ich visuelle Formen atme.

Weitere Kunsttagebücher:

  1. Was ist Kunst? Und warum nicht?
  2. Als die Nacht aus dem Blickwinkel des Tages unterbelichtet wirkte
  3. Warum Eitelkeit zur Kunst gehört und doch ihr Untergang ist
  4. Ziellosigkeit als Grundlage assoziativer Prozesse
  5. Kopfkino oder zeigen und weglassen im anspruchsvollen Film
  6. Warum die Größe einer Zeichnung ihre Aussage verändert
  7. Wann Form ein Inhalt sein kann
  8. Was könnte das sein?
  9. Die Welt ist voller Möglichkeiten oder Zufall und Entscheidung in der Kunst
  10. Über das „Zuviel“
  11. Wiederholung als Formoptimierungs-Prozess
  12. Der assoziationsoffene Raum
  13. Kunst und technisch-handwerkliches Können: Warum es besser ist, nichts zu können
  14. Methoden der Kunst: Durch Wegnehmen und Hinzufügen Bedeutungen erschaffen
  15. Der Kunsst
  16. Was ist Kunst?
  17. Künstler-Selbstbild: Skizze eines zufallsgesteuerten Lebens ohne anarchistische Romantik
  18. Beliebigkeit als Kunstprinzip: Über die vermeintliche Sinnlosigkeit assoziativer Folgerichtigkeit
  19. Langlauf oder Kurzstrecke? Das Intervall in der Kunst
  20. Der Künstler: Ein Assoziationsautomat
  21. Zeichnen und die Macht des Zufalls
  22. Vorhersehbarkeit und Offensichtlichkeit – über die Langeweile in der Kunst
  23. Offenheit, Inspiration, Assoziation – über den Wert von Einflüssen in der Kunst
  24. Hinz- und Kurzgeschichte: Als der Unterhaltungskünstler den ernsthaften Künstler traf
  25. Über die metaphorische Schwangerschaft der Bilder
  26. Über das Vorläufige und das Endgültige in der Kunst
  27. Warum Kunst ein Virus ist
  28. Kreieren und wiederholen: Warum Kunst nicht kreativ ist
  29. Das Unverwechselbare in der Kunst als Ausdruck der eigenen Unfähigkeit
  30. Das Ungefähre als das nicht Greifbare
  31. Offenheit, Inspiration, Assoziation – über den Wert von Einflüssen in der Kunst
  32. Der blinde Fleck und die Kunst der Betrachtung
  33. Kompetenz und Versagen als sich selbst bedingende Gleichzeitigkeit
  34. Kunst als Selbstdialog
  35. Ordnung und Chaos als Polaritätskonzept künstlerischen Wirkens
  36. Die Überforderung
  37. Eindeutigkeit und Wahrnehmung in der Kunst
  38. Kunst als Sprache
  39. Der Mangel als Ansporn
  40. Bedeutung und Orientierung als Ziele der Kunst
  41. Selbstbild und Seins-Inszenierung
  42. Kunst als Chiffre der Notwendigkeit
  43. Kunst als fortgesetzter Traum
  44. Idealismus oder Materialismus – Geld oder Leben!?
  45. Die Maslow-Bedürfnis-Pyramide oder fühlen und durchleben in der Kunst
  46. Jenseits der Worte
  47. Wahrheit und Verdrängung
  48. Das Gefühl für die Dinge oder von der Schwierigkeit, Kunst zu definieren
  49. Zwischen Selbsttransformation und Fremdwahrnehmung
  50. Die Absolutheit der Ich-Perspektive
  51. Fehler machen als „Sesam-öffne-dich“
  52. Kunst und die Visualisierung des Nie-Gesehenen
  53. Jede Regel will gebrochen sein
  54. Die Intrinsik als Wesenszug