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Kreieren und wiederholen: Warum Kunst nicht kreativ ist

Kunsterbunt

Für den Volksmund ist Kunst ähnlich wie Werbung gleichzusetzen mit Kreativität, also mit Ideenfindung bzw. Ideengenerierung. Zum weiten Feld der Kreation gehört auch die Ideenselektion, also das Herausarbeiten der besten Idee aus dem Fundus erster oder vorläufiger Ideen.

Im Falle der Kunst geht es um neue Darstellungsweisen, um Wahrnehmungsideen, um Perspektivwechsel und einen neuen Blick auf die Welt. Kunst kann also ideenreich sein. Gerade auch im Bereich der Kunstaktion arbeitet sie z.B. mit politischen Ideen – unter Umständen ähnlich wie die Werbung. Aber ihr Kern ist ein anderer.

Künstler auf Formsuche

Ein Künstler hat in der Regel ein Thema oder eine Art und Weise sich auszudrücken. Picasso hat den Großteil seines künstlerischen Lebens abstrahiert, Max Ernst hat collagiert, Salvador Dali hat das Zerfliessende zum Thema gemacht, auch das Langgezogene ähnlich wie Giacometti bei seinen Skulpturen. Egon Schiele hat neue Proportionen und Konturen für den menschlichen Körper und die menschliche Physiognomie gesucht. Er hat Motiviken strukturell auf ihre Liniearität zurückgeführt, hat sie dekonstruiert und aufgelöst und auf seine Weise neu angeordnet. Die Jugendstilkünstler Alphons Mucha oder Gustav Klimt haben Idealbilder gesucht, die die Frau und die Liebe zum Thema hatten. Der Jugendstilzeichner Aubrey Breadsley wartete mit provokativ-maskuliner Sexualität auf. Aktionskünstler Josef Beuys schuf Krafträume und energetische Installationen. Gottfried Helnwein macht aquarellierend subversiv dem Foto Konkurrenz.

Künstler wiederholen sich

Ein Künstler hat oft ein Thema, das er wiederholt. Er kreiert nicht fortwährend gänzlich neue Formen. Bezogen auf sein Gesamtwerk erscheint das Wirken des Künstlers als ausloten seiner Möglichkeiten. Als Variation einer Grundidee. Kennst du ein Modigliani-Bild mit schmalen Gesichtern und augapfellosen Augenpartien, kennst du seine Grundkonzeption. Der Rest ist variierende Umsetzung. Das ist nicht kreativ, es ist die Suche nach dem perfekten Ausdruck, nach der optimalen Form. Der Ausdruck kann in der Kunst formal sein, also die Suche nach der perfekten Form, oder inhaltlich die Suche nach der treffenden Aussage.

Künstler und ihr Lebensthema

Nun kann man das Leben selbst als einen formwandelnden Prozess ansehen, der fortwährend nach der Optimierung der Formen und Funktionen strebt. Kunst ist also lediglich Ausdruck dieses Prinzipes. Sie ist insofern kreativ, als sie neue Konzepte anstrebt. Ist das neue Konzept etabliert, geht es maximal um Kreativität im Kleinen aber im Grunde nur noch um Varianz im Dienste kleinteiliger Optimierungsbestrebungen bei der Umsetzung der Grundidee, die gleichzeitig der konzeptionelle Ansatz des Künstlers und seines Werkes sind.

Weitere Kunsttagebücher:

  1. Was ist Kunst? Und warum nicht?
  2. Als die Nacht aus dem Blickwinkel des Tages unterbelichtet wirkte
  3. Warum Eitelkeit zur Kunst gehört und doch ihr Untergang ist
  4. Ziellosigkeit als Grundlage assoziativer Prozesse
  5. Kopfkino oder zeigen und weglassen im anspruchsvollen Film
  6. Warum die Größe einer Zeichnung ihre Aussage verändert
  7. Wann Form ein Inhalt sein kann
  8. Was könnte das sein?
  9. Gedanken-Gefühls-Bilder innerhalb einer Formgenese
  10. Die Welt ist voller Möglichkeiten oder Zufall und Entscheidung in der Kunst
  11. Über das „Zuviel“
  12. Wiederholung als Formoptimierungs-Prozess
  13. Der assoziationsoffene Raum
  14. Kunst und technisch-handwerkliches Können: Warum es besser ist, nichts zu können
  15. Methoden der Kunst: Durch Wegnehmen und Hinzufügen Bedeutungen erschaffen
  16. Der Kunsst
  17. Was ist Kunst?
  18. Künstler-Selbstbild: Skizze eines zufallsgesteuerten Lebens ohne anarchistische Romantik
  19. Beliebigkeit als Kunstprinzip: Über die vermeintliche Sinnlosigkeit assoziativer Folgerichtigkeit
  20. Langlauf oder Kurzstrecke? Das Intervall in der Kunst
  21. Der Künstler: Ein Assoziationsautomat
  22. Zeichnen und die Macht des Zufalls
  23. Vorhersehbarkeit und Offensichtlichkeit – über die Langeweile in der Kunst
  24. Offenheit, Inspiration, Assoziation – über den Wert von Einflüssen in der Kunst
  25. Hinz- und Kurzgeschichte: Als der Unterhaltungskünstler den ernsthaften Künstler traf
  26. Über die metaphorische Schwangerschaft der Bilder
  27. Über das Vorläufige und das Endgültige in der Kunst
  28. Warum Kunst ein Virus ist
  29. Das Unverwechselbare in der Kunst als Ausdruck der eigenen Unfähigkeit
  30. Das Ungefähre als das nicht Greifbare
  31. Offenheit, Inspiration, Assoziation – über den Wert von Einflüssen in der Kunst
  32. Der blinde Fleck und die Kunst der Betrachtung
  33. Kompetenz und Versagen als sich selbst bedingende Gleichzeitigkeit
  34. Kunst als Selbstdialog
  35. Ordnung und Chaos als Polaritätskonzept künstlerischen Wirkens
  36. Die Überforderung
  37. Eindeutigkeit und Wahrnehmung in der Kunst
  38. Kunst als Sprache
  39. Der Mangel als Ansporn
  40. Bedeutung und Orientierung als Ziele der Kunst
  41. Selbstbild und Seins-Inszenierung
  42. Kunst als Chiffre der Notwendigkeit
  43. Kunst als fortgesetzter Traum
  44. Idealismus oder Materialismus – Geld oder Leben!?
  45. Die Maslow-Bedürfnis-Pyramide oder fühlen und durchleben in der Kunst
  46. Jenseits der Worte
  47. Wahrheit und Verdrängung
  48. Das Gefühl für die Dinge oder von der Schwierigkeit, Kunst zu definieren
  49. Zwischen Selbsttransformation und Fremdwahrnehmung
  50. Die Absolutheit der Ich-Perspektive
  51. Fehler machen als „Sesam-öffne-dich“
  52. Kunst und die Visualisierung des Nie-Gesehenen
  53. Jede Regel will gebrochen sein
  54. Die Intrinsik als Wesenszug
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