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Kunsttagebuch: Die Intrinsik als Wesenszug

Wer sich mit Kunst auseinandersetzt, für den steht oft das Werk im Mittelpunkt der Betrachtung. Was aber, wenn man zunächst nur den Künstler selbst beleuchtet? Was bringt den Künstler eigentlich dazu, künstlerisch tätig zu sein? Wie entwickelt er seine visuelle Welt? Welche Eigenschaften muss er haben, um ein Künstler sein zu können?

Das sind viele Fragen, von denen eine wesentliche ist, was den Künstler/die Künstlerin eigentlich antreibt. Ein Schlüssel zur Kunst ist zunächst die spezifische Art und Weise des Künstlers, die Welt wahrzunehmen. Das, was er sieht oder empfindet, bildet ein Spannungsfeld mit der allgemein gelernten Wahrnehmung. Diesen Unterschied zu visualisieren, motiviert und regt an.

Ästhetik als Ordnungsprinzip

Die abstrahierten Motive eines Victor Vasarely oder eines Piet Mondrian zum Beispiel visualisieren in Proportionen und Flächenrelationen mathematische Prinzipien oder aber Farben und Farbräume und deren Bezug zueinander. Die Motivation wäre hier, ein Regelwerk der Farbharmonien und Farbbezüge herzustellen und damit die Farben in eine Ordnung zu bringen, die der eigenen Wahrnehmung entspricht und dem zuwider läuft, was üblich ist.

Die Intrinsik als wichtige Motivation

Es gibt verschiedene Begabungen, die dazu führen, kreativ zu sein oder Künstler/in zu sein. Eine übergeordnete Eigenschaft, die in Opposition zu einer Welt des Materiellen und des monetären Gegenwertes immer mal wieder Konjunktur hat, ist etwas nur der Sache wegen zu tun, und nicht etwa, weil man damit Geld verdienen kann oder Anerkennung bekommt. Diese „Intrinsik“ genannte Eigenschaft ist eine zentrale künstlerische Motivation. Was bietet die „Intrinsik“ dem Künstler/der Künstlerin?

Intrinsik und Extrinsik

Erst was aus sich selbst heraus zu etwas führt, fördert wirklich Originales zutage. Denn wer nur wegen Belohnung (etwa in Form von Anerkennung) oder wegen Bestrafung (durch drohenden Misserfolg) reagiert, kann langfristig kaum tiefgreifende Kunst entwickeln. Kreative Persönlichkeiten sind in der Regel Idealisten und damit intrinsische Persönlichkeiten. Sie entwickeln Kunst um ihrer selbst willen, es geht hauptsächlich um die Sache, die damit auch sich selbst genug sein kann. Intrinsik hat mit Hingabe und Leidenschaft zu tun. Die Belohnung und innere Zufriedenheit mag im freien, selbstbestimmten Handeln liegen und darin, seine Möglichkeiten zu nutzen bzw. weiter zu entwickeln. Bei Kunst geht es darum, seine Vorstellungskraft für einen individuellen Ausdruck einzusetzen, der die eigenen Gefühle ausdrückt. Eine Motivation, die nicht aus dem Künstler kommt sondern von außen auf ihn einwirkt, nennt man im Gegensatz zum Intrinsischen „extrinsisch“.

Mehrdeutige Widersprüchlichkeit

Einen Künstler macht neben der Leidenschaft oder sogar Bessessenheit auslösenden Intrinsik noch eine andere Eigenschaft aus. Es geht darum, Widersprüche und Ambiguitäten auszuhalten. Das sind Mehrdeutigkeiten und Doppeldeutigkeiten als Gegenmodell zum Eindeutigen. Wahrnehmung und inhaltliche Durchdringung werden so erschwert und die Schwierigkeit damit zum Anreiz. Ein Künstler lebt in einer Welt der Bedeutungsschwangerschaft. Welche „Ausdruckskinder“ in Form von Kunstwerken das Licht der Welt erblicken, ist ein Prozess der Eindeutigkeit in der Vieldeutigkeit. Wer damit leben kann, wird resistent und isoliert sich gegenüber der scheinbaren Normalität des Geordneten und Eindeutigen.

Unsicherheit als Ordnungsprinzip

Was den Künstler ausmacht, ist seine Fähigkeit, einen uneindeutigen, unklaren, mehrbödigen und damit unsicheren Zustand auszuhalten, unter Umständen sogar positiv für sich umzudeuten und zu nutzen. Wer das kann, kommt auch mit Unüberschaubarkeit und Komplexität besser zurecht. Tatsächlich arbeiten viele Künstler beharrlich an ihrem Werk, ohne dafür eine Bestätigung zu erhalten. Das ist Intrinsik pur und hat mit einer intuitiven Herangehensweise zu tun. Und es beschreibt einen Wesenszug, der in Ambivalenzen sein Wachtumspotenzial gefunden hat.

Weitere Kunsttagebücher:

  1. Was ist Kunst? Und warum nicht?
  2. Als die Nacht aus dem Blickwinkel des Tages unterbelichtet wirkte
  3. Warum Eitelkeit zur Kunst gehört und doch ihr Untergang ist
  4. Ziellosigkeit als Grundlage assoziativer Prozesse
  5. Kopfkino oder zeigen und weglassen im anspruchsvollen Film
  6. Warum die Größe einer Zeichnung ihre Aussage verändert
  7. Wann Form ein Inhalt sein kann
  8. Was könnte das sein?
  9. Gedanken-Gefühls-Bilder innerhalb einer Formgenese
  10. Die Welt ist voller Möglichkeiten oder Zufall und Entscheidung in der Kunst
  11. Über das „Zuviel“
  12. Wiederholung als Formoptimierungs-Prozess
  13. Der assoziationsoffene Raum
  14. Kunst und technisch-handwerkliches Können: Warum es besser ist, nichts zu können
  15. Methoden der Kunst: Durch Wegnehmen und Hinzufügen Bedeutungen erschaffen
  16. Der Kunsst
  17. Was ist Kunst?
  18. Künstler-Selbstbild: Skizze eines zufallsgesteuerten Lebens ohne anarchistische Romantik
  19. Beliebigkeit als Kunstprinzip: Über die vermeintliche Sinnlosigkeit assoziativer Folgerichtigkeit
  20. Langlauf oder Kurzstrecke? Das Intervall in der Kunst
  21. Der Künstler: Ein Assoziationsautomat
  22. Zeichnen und die Macht des Zufalls
  23. Vorhersehbarkeit und Offensichtlichkeit – über die Langeweile in der Kunst
  24. Offenheit, Inspiration, Assoziation – über den Wert von Einflüssen in der Kunst
  25. Hinz- und Kurzgeschichte: Als der Unterhaltungskünstler den ernsthaften Künstler traf
  26. Über die metaphorische Schwangerschaft der Bilder
  27. Über das Vorläufige und das Endgültige in der Kunst
  28. Warum Kunst ein Virus ist
  29. Kreieren und wiederholen: Warum Kunst nicht kreativ ist
  30. Das Unverwechselbare in der Kunst als Ausdruck der eigenen Unfähigkeit
  31. Das Ungefähre als das nicht Greifbare
  32. Offenheit, Inspiration, Assoziation – über den Wert von Einflüssen in der Kunst
  33. Der blinde Fleck und die Kunst der Betrachtung
  34. Kompetenz und Versagen als sich selbst bedingende Gleichzeitigkeit
  35. Kunst als Selbstdialog
  36. Ordnung und Chaos als Polaritätskonzept künstlerischen Wirkens
  37. Die Überforderung
  38. Eindeutigkeit und Wahrnehmung in der Kunst
  39. Kunst als Sprache
  40. Der Mangel als Ansporn
  41. Bedeutung und Orientierung als Ziele der Kunst
  42. Selbstbild und Seins-Inszenierung
  43. Kunst als Chiffre der Notwendigkeit
  44. Kunst als fortgesetzter Traum
  45. Idealismus oder Materialismus – Geld oder Leben!?
  46. Die Maslow-Bedürfnis-Pyramide oder fühlen und durchleben in der Kunst
  47. Jenseits der Worte
  48. Wahrheit und Verdrängung
  49. Das Gefühl für die Dinge oder von der Schwierigkeit, Kunst zu definieren
  50. Zwischen Selbsttransformation und Fremdwahrnehmung
  51. Die Absolutheit der Ich-Perspektive
  52. Fehler machen als „Sesam-öffne-dich“
  53. Kunst und die Visualisierung des Nie-Gesehenen
  54. Jede Regel will gebrochen sein
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