Weniger-Meer

Ich habe mal meine Kakteen langfristig getötet, weil ich sie zuviel gegossen habe. Jetzt habe ich den Bogen raus, Kakteen und Sukkulenten wachsen bei mir wunderbar. Oft ist es so, dass ich sie in einem Impuls gießen möchte, aber dann denke ich kurz darüber nach und tue es doch nicht. Ich warte noch. Man entwickelt ein geduldiges Gefühl, eine Zurückhaltung, einen Gießpurismus.

Beim Zeichnen gibt es diese Phasen, wo ich mit sehr wenigen Linien etwas darstelle oder aber opulent mit sehr vielen. Mal liegt in der Reduktion der Mittel eine gewisse Besinnlichkeit, mal in der Akribie der Vielstrichigkeit Ausdauer und große Kraft.

Reduce to the max

Weniger ist mehr ist der Weg zum eigenen künstlerischen Kern, zur Mitte des Ausdrucks, zum Ursprung des künstlerischen Impulses. Mit vielen Strichen, Schattierungen, mit den Spiegelungen und Texturen des Photorealismus, mit Perfektion generell überdeckt man den einen Ursprungspunkt, den einen knochigen Strich, von dem alles ausgeht. Weniger ist deshalb mehr, weil im Weniger der Anspruch besteht, das Wesentliche auf den Punkt zu bringen. Alles Beiwerk wegzulassen, ist so, wie aufzuhören drum herum zu reden, auf den Punkt zu kommen und einfach in einem kurzen Satz die Wahrheit zu sagen – nämlich das, um das es wirklich geht.

Die Reise zur eigenen Wahrheit

Weniger ist mehr ist der Weg der eigenen Wahrheit – ohne Wenn und Aber, ganz ohne Blabla. Denn je mehr Striche, desto mehr Information, desto mehr Überflutung, mehr Verhüllung, mehr Lüge. Lügen wirken glatt und schön perfekt. Die Wahrheit ist oft schwerer verdaulich. Man gewöhnt sich aber an den ganz einfachen Strich, der die Grundlagen der eigenen Existenz darstellen mag. Seine Kargheit hat eine ganz eigene Ästhetik: die der Ehrlichkeit.

Weitere Kunsttagebücher:

  1. Was ist Kunst? Und warum nicht?
  2. Als die Nacht aus dem Blickwinkel des Tages unterbelichtet wirkte
  3. Warum Eitelkeit zur Kunst gehört und doch ihr Untergang ist
  4. Ziellosigkeit als Grundlage assoziativer Prozesse
  5. Kopfkino oder zeigen und weglassen im anspruchsvollen Film
  6. Warum die Größe einer Zeichnung ihre Aussage verändert
  7. Wann Form ein Inhalt sein kann
  8. Was könnte das sein?
  9. Gedanken-Gefühls-Bilder innerhalb einer Formgenese
  10. Die Welt ist voller Möglichkeiten oder Zufall und Entscheidung in der Kunst
  11. Wiederholung als Formoptimierungs-Prozess
  12. Der assoziationsoffene Raum
  13. Kunst und technisch-handwerkliches Können: Warum es besser ist, nichts zu können
  14. Methoden der Kunst: Durch Wegnehmen und Hinzufügen Bedeutungen erschaffen
  15. Der Kunsst
  16. Was ist Kunst?
  17. Künstler-Selbstbild: Skizze eines zufallsgesteuerten Lebens ohne anarchistische Romantik
  18. Beliebigkeit als Kunstprinzip: Über die vermeintliche Sinnlosigkeit assoziativer Folgerichtigkeit
  19. Langlauf oder Kurzstrecke? Das Intervall in der Kunst
  20. Der Künstler: Ein Assoziationsautomat
  21. Zeichnen und die Macht des Zufalls
  22. Vorhersehbarkeit und Offensichtlichkeit – über die Langeweile in der Kunst
  23. Offenheit, Inspiration, Assoziation – über den Wert von Einflüssen in der Kunst
  24. Hinz- und Kurzgeschichte: Als der Unterhaltungskünstler den ernsthaften Künstler traf
  25. Über die metaphorische Schwangerschaft der Bilder
  26. Über das Vorläufige und das Endgültige in der Kunst
  27. Warum Kunst ein Virus ist
  28. Kreieren und wiederholen: Warum Kunst nicht kreativ ist
  29. Das Unverwechselbare in der Kunst als Ausdruck der eigenen Unfähigkeit
  30. Das Ungefähre als das nicht Greifbare
  31. Offenheit, Inspiration, Assoziation – über den Wert von Einflüssen in der Kunst
  32. Der blinde Fleck und die Kunst der Betrachtung
  33. Kompetenz und Versagen als sich selbst bedingende Gleichzeitigkeit
  34. Kunst als Selbstdialog
  35. Ordnung und Chaos als Polaritätskonzept künstlerischen Wirkens
  36. Die Überforderung
  37. Eindeutigkeit und Wahrnehmung in der Kunst
  38. Kunst als Sprache
  39. Der Mangel als Ansporn
  40. Bedeutung und Orientierung als Ziele der Kunst
  41. Selbstbild und Seins-Inszenierung
  42. Kunst als Chiffre der Notwendigkeit
  43. Kunst als fortgesetzter Traum
  44. Idealismus oder Materialismus – Geld oder Leben!?
  45. Die Maslow-Bedürfnis-Pyramide oder fühlen und durchleben in der Kunst
  46. Jenseits der Worte
  47. Wahrheit und Verdrängung
  48. Das Gefühl für die Dinge oder von der Schwierigkeit, Kunst zu definieren
  49. Zwischen Selbsttransformation und Fremdwahrnehmung
  50. Die Absolutheit der Ich-Perspektive
  51. Fehler machen als „Sesam-öffne-dich“
  52. Kunst und die Visualisierung des Nie-Gesehenen
  53. Jede Regel will gebrochen sein
  54. Die Intrinsik als Wesenszug