Hand und Fluss

Schaffenskraft scheint selbstverständlich. Doch oft genug versiegt der Strom der Inspiration und Kreativität. Wer eine Schreibblockade oder sogar ein längerfristig wirkendes Burnout hat, ist an einem Punkt im Leben angelangt, an dem einem nichts mehr einfällt, an dem es nicht mehr weiterzugehen scheint.

Woher kommt die Angst vor dem weißen Blatt bzw. einem leeren Worddokument, das sich nicht füllt, oder einer Leinwand die keine Farbe annehmen will?

Leerer Bildschirm, weißes Blatt

Der Schrecken des weißen Blattes ist das Wissen darum, dass die Welt voller Möglichkeiten und Chancen ist, man aber nicht eine einzige davon ergreifen kann. Dieser Zustand ist Ausdruck kreativer Impotenz. Das ist der Gegensatz der theoretisch unendlichen Möglichkeiten, von denen aber in der Praxis keine realisierbar ist, weil genauso leer wie das Blatt vor dem Künstler dessen eigener Kopf ist.

Zufall und Inwendigkeit

Wie entsteht ein neuer künstlerischer Ausdruck? Durch Inspiration, Informationsverarbeitung und die eigene Sichtweise, den Ich-Filter. Im Kopf schwirren Gedanken umher, von denen man einen auswählen und im Normalfall umsetzen würde. Anders ausgedrückt: Man bedient sich aus dem Reservoir der Wirrnis des Zufalls und entscheidet sich für eine Idee. Man legt sich auf Grundlage von Ideendurchdringung und Ideenüberflutung fest. Ausgebrannt zu sein, würde im Gegensatz dazu bedeuten, keine freien Gedankenbilder mehr zu haben, sich in Selbstwiederholung zu ergehen und ohne Impulskraft zu sein.

Zufall, Chaos, Ordnung

Der Zufall ist so gesehen ein chaotisches Ideenreservoir. Die Entscheidung zu einer dieser zufälligen Ideen wäre eine gewichtende und ordnende Hand. Aus der Unbegrenztheit des eigenen künstlerischen Lebens entsteht eine Offenheit, in der der ungeordnete Zufall die entscheidende Rolle spielt. Nur aus dem Zufall kommt Unvorhergesehenes und Neues in ein Künstlerleben. Wer dem Zufall zu wenig Raum gibt, wer die Ratio dominieren lässt, kastriert sich künstlerisch bzw. unterzieht sich einer vernunftsgesteuersten Totaloperation. Starre Konzepte, feste Zielsetzungen und zuviel bewußtes Nachdenken in der Kunst münden in Verkrampfung und führen zu Wiederholung. Die Offenheit in der Kunst ist das Gewährenlassen des Zufalls.

Weitere Kunsttagebücher:

  1. Was ist Kunst? Und warum nicht?
  2. Als die Nacht aus dem Blickwinkel des Tages unterbelichtet wirkte
  3. Warum Eitelkeit zur Kunst gehört und doch ihr Untergang ist
  4. Ziellosigkeit als Grundlage assoziativer Prozesse
  5. Kopfkino oder zeigen und weglassen im anspruchsvollen Film
  6. Warum die Größe einer Zeichnung ihre Aussage verändert
  7. Wann Form ein Inhalt sein kann
  8. Was könnte das sein?
  9. Gedanken-Gefühls-Bilder innerhalb einer Formgenese
  10. Über das „Zuviel“
  11. Wiederholung als Formoptimierungs-Prozess
  12. Der assoziationsoffene Raum
  13. Kunst und technisch-handwerkliches Können: Warum es besser ist, nichts zu können
  14. Methoden der Kunst: Durch Wegnehmen und Hinzufügen Bedeutungen erschaffen
  15. Der Kunsst
  16. Was ist Kunst?
  17. Künstler-Selbstbild: Skizze eines zufallsgesteuerten Lebens ohne anarchistische Romantik
  18. Beliebigkeit als Kunstprinzip: Über die vermeintliche Sinnlosigkeit assoziativer Folgerichtigkeit
  19. Langlauf oder Kurzstrecke? Das Intervall in der Kunst
  20. Der Künstler: Ein Assoziationsautomat
  21. Zeichnen und die Macht des Zufalls
  22. Vorhersehbarkeit und Offensichtlichkeit – über die Langeweile in der Kunst
  23. Offenheit, Inspiration, Assoziation – über den Wert von Einflüssen in der Kunst
  24. Hinz- und Kurzgeschichte: Als der Unterhaltungskünstler den ernsthaften Künstler traf
  25. Über die metaphorische Schwangerschaft der Bilder
  26. Über das Vorläufige und das Endgültige in der Kunst
  27. Warum Kunst ein Virus ist
  28. Kreieren und wiederholen: Warum Kunst nicht kreativ ist
  29. Das Unverwechselbare in der Kunst als Ausdruck der eigenen Unfähigkeit
  30. Das Ungefähre als das nicht Greifbare
  31. Offenheit, Inspiration, Assoziation – über den Wert von Einflüssen in der Kunst
  32. Der blinde Fleck und die Kunst der Betrachtung
  33. Kompetenz und Versagen als sich selbst bedingende Gleichzeitigkeit
  34. Kunst als Selbstdialog
  35. Ordnung und Chaos als Polaritätskonzept künstlerischen Wirkens
  36. Die Überforderung
  37. Eindeutigkeit und Wahrnehmung in der Kunst
  38. Kunst als Sprache
  39. Der Mangel als Ansporn
  40. Bedeutung und Orientierung als Ziele der Kunst
  41. Selbstbild und Seins-Inszenierung
  42. Kunst als Chiffre der Notwendigkeit
  43. Kunst als fortgesetzter Traum
  44. Idealismus oder Materialismus – Geld oder Leben!?
  45. Die Maslow-Bedürfnis-Pyramide oder fühlen und durchleben in der Kunst
  46. Jenseits der Worte
  47. Wahrheit und Verdrängung
  48. Das Gefühl für die Dinge oder von der Schwierigkeit, Kunst zu definieren
  49. Zwischen Selbsttransformation und Fremdwahrnehmung
  50. Die Absolutheit der Ich-Perspektive
  51. Fehler machen als „Sesam-öffne-dich“
  52. Kunst und die Visualisierung des Nie-Gesehenen
  53. Jede Regel will gebrochen sein
  54. Die Intrinsik als Wesenszug