Kunstdefinition

Was wäre, wir würden in einem unsichtbaren Zwiespalt zwischen Unbewusstheit und Bewusstsein leben? Und angenommen, wir würden sogar den Großteil unseres Lebens gesteuert vom Unbewussten durch die Welt gehen? Allerdings mit dem Selbstbild, uns unseres Lebens völlig und vollständig bewusst zu sein? Was wäre dann?

Dann würden wir, wenn man uns Fragen nach unseren Motiven zu handeln stellen würde, also danach, etwas zu tun oder getan zu haben, eine bewusste Antwort geben, wie etwa: „Ich habe dich angeschrien, weil ich ziemlich überarbeitet war.“ Oder: „Ich habe diese Immobilie unter Marktwert verkauft, damit wir das Geld schon mal haben.“ Oder: „Ich habe diese politische Entscheidung gefällt, um das Urheberrecht zu schützen.“

Woher kommen Motivationen?

Gleichzeitig wissen wir, dass die tatsächlichen Gründe für all diese Motivationen ganz woanders liegen. Dass wir uns aber keine Blöße geben wollen und deshalb unserem unerklärlichen Handeln den Anstrich des Bewussten geben wollen, weil wir ja glauben, wir wären von unserem Bewusstsein durchdrungen. Wir stellen uns vor, wir wüssten, wie wir und die Welt funktionieren. Was aber, wenn wir etwas anderes gar nicht denken könnten, als dass wir alles wüssten? Dieses „andere“, das wäre der Umstand, dass für uns selbst unser Handeln in Wirklichkeit mysteriös und kaum durchschaubar ist.

Innen und Außen des Menschseins

Würde man so denken, dass wir nämlich nicht wissen können, wie wir und die Welt beschaffen sind, läge es nahe, dass es einen Ausweg geben müsste. Etwas, das uns helfen könnte, sehen zu können, wie wir sind und funktionieren. Wie wir zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten hin und her lavieren. Wie wir schlingern wie Strohhalme in einer unkalkulierbaren Strömung als Spielball des Zufalls und der tieferliegenden Gründe.

Kunst als Botschaft an uns selbst

Kunst ist ein Brief, den wir uns selbst schreiben, ein Brand- oder Aufklärungsbrief, in dem wir uns darüber informieren, was verborgen in uns tickt. All das Nicht-Sichtbare, das Unsichtbare, das Verdeckte, Verschleierte und Verklausulierte bekommt hier ein Antlitz, das sich uns zeigt. Kunst zeigt uns, wie wir sind und inwiefern die Grenze zwischen dem, wie wir sind und wie wir sein wollen, verschwimmt.

Systemimmanenz und Blindheit

Man kann Kunst aber auch weniger grundsätzlich betrachten: Als eine Spiegelung lediglich unserer Wahrnehmung, als eine Foto unseres neuronalen Filtersystems, durch das wir die Welt betrachten. Denn dass wir nichts über uns und die Welt wissen können, liegt zum Teil auch daran, dass wir Teil des Systems sind, von dem aus wir das System betrachten wollen. Das macht es ungemein schwer, das Ganze so einfach sehen zu können. Ein Problem, das neben der Kunst auch die Wissenschaften haben, die versuchen mit aberwitzigen Messungen das Wesen der Realität zu entschlüsseln.

Entschlüsslung des Unbewussten

Kunst kann der Versuch der Entschlüsslung unseres Lebens sein. Dann wäre Kunst eine Chiffre, also etwas, das wir betrachten und entschlüsseln müssen, weil die Kunst ihrerseits kein bewusster Akt ist, auch wenn der Künstler in dem Bewusstsein lebt, er wüsste, worum es bei dem geht, was er tut. Kunst ist die Formgebung für das Nicht-Sichtbare, das Nicht-Zeigbare und das Nicht-Betrachtbare. Kunst ist ein Seiltanz zwischen Bewusstem und Unbewusstem. Deshalb ist Kunst die Notwendigkeit, Blinden das Sehen beizubringen.

Weitere Kunsttagebücher:

  1. Was ist Kunst? Und warum nicht?
  2. Als die Nacht aus dem Blickwinkel des Tages unterbelichtet wirkte
  3. Warum Eitelkeit zur Kunst gehört und doch ihr Untergang ist
  4. Ziellosigkeit als Grundlage assoziativer Prozesse
  5. Kopfkino oder zeigen und weglassen im anspruchsvollen Film
  6. Warum die Größe einer Zeichnung ihre Aussage verändert
  7. Wann Form ein Inhalt sein kann
  8. Was könnte das sein?
  9. Gedanken-Gefühls-Bilder innerhalb einer Formgenese
  10. Die Welt ist voller Möglichkeiten oder Zufall und Entscheidung in der Kunst
  11. Über das „Zuviel“
  12. Wiederholung als Formoptimierungs-Prozess
  13. Der assoziationsoffene Raum
  14. Kunst und technisch-handwerkliches Können: Warum es besser ist, nichts zu können
  15. Methoden der Kunst: Durch Wegnehmen und Hinzufügen Bedeutungen erschaffen
  16. Der Kunsst
  17. Was ist Kunst?
  18. Künstler-Selbstbild: Skizze eines zufallsgesteuerten Lebens ohne anarchistische Romantik
  19. Beliebigkeit als Kunstprinzip: Über die vermeintliche Sinnlosigkeit assoziativer Folgerichtigkeit
  20. Langlauf oder Kurzstrecke? Das Intervall in der Kunst
  21. Der Künstler: Ein Assoziationsautomat
  22. Zeichnen und die Macht des Zufalls
  23. Vorhersehbarkeit und Offensichtlichkeit – über die Langeweile in der Kunst
  24. Offenheit, Inspiration, Assoziation – über den Wert von Einflüssen in der Kunst
  25. Hinz- und Kurzgeschichte: Als der Unterhaltungskünstler den ernsthaften Künstler traf
  26. Über die metaphorische Schwangerschaft der Bilder
  27. Über das Vorläufige und das Endgültige in der Kunst
  28. Warum Kunst ein Virus ist
  29. Kreieren und wiederholen: Warum Kunst nicht kreativ ist
  30. Das Unverwechselbare in der Kunst als Ausdruck der eigenen Unfähigkeit
  31. Das Ungefähre als das nicht Greifbare
  32. Offenheit, Inspiration, Assoziation – über den Wert von Einflüssen in der Kunst
  33. Der blinde Fleck und die Kunst der Betrachtung
  34. Kompetenz und Versagen als sich selbst bedingende Gleichzeitigkeit
  35. Kunst als Selbstdialog
  36. Ordnung und Chaos als Polaritätskonzept künstlerischen Wirkens
  37. Die Überforderung
  38. Eindeutigkeit und Wahrnehmung in der Kunst
  39. Kunst als Sprache
  40. Der Mangel als Ansporn
  41. Bedeutung und Orientierung als Ziele der Kunst
  42. Selbstbild und Seins-Inszenierung
  43. Kunst als fortgesetzter Traum
  44. Idealismus oder Materialismus – Geld oder Leben!?
  45. Die Maslow-Bedürfnis-Pyramide oder fühlen und durchleben in der Kunst
  46. Jenseits der Worte
  47. Wahrheit und Verdrängung
  48. Das Gefühl für die Dinge oder von der Schwierigkeit, Kunst zu definieren
  49. Zwischen Selbsttransformation und Fremdwahrnehmung
  50. Die Absolutheit der Ich-Perspektive
  51. Fehler machen als „Sesam-öffne-dich“
  52. Kunst und die Visualisierung des Nie-Gesehenen
  53. Jede Regel will gebrochen sein
  54. Die Intrinsik als Wesenszug